Anstatt heute zum Unterricht zu fahren, geht es mit Yoga zur
Bushaltestelle, wo uns ein Kleintransporter erwartet, der uns zusammen mit
einigen anderen AIESECern in die vietnamesische Hafenstadt Vung Tau bringen
soll. Die Kleintransporter heißen hier zwar auch alle Ford, Mercedes und Co.
haben mit den uns bekannten Modellen aber wenig und unserer
Straßenverkehrsordnung gar nichts zu tun. Der Wagen, der dem Deutschen für
Kleinstumzüge dient, fasst jetzt etwa 15
Personen in Miniatursitzreihen und bringt uns aber natürlich trotzdem
nach 3 Stunden sicher ans Ziel, wo wir von einer dort lebenden Kollegin in
Empfang genommen werden. Im Eingangsbereich ihres Elternhauses werden uns
Früchte gereicht, die mich endlich wissen lassen, dass es solche Früchte nicht
nur in einer Packung „Haribo Tropifrutti“ gibt. Wir besichtigen kurz einen
lokalen Markt, auf dem ich glücklicherweise nicht meine Lebensmittel kaufen
muss und werden zu unserer Wochenendbleibe gefahren; einem leer stehenden
Apartment.
Ein eigens gemieteter Viehtransporter mit kleinen Bänken
soll uns die nächsten zwei Tage kutschieren und fährt uns erst mal direkt zum
Abendessen. Es gibt Hot Pot, also eigentlich Fisch in Fischsoße, was nicht mein
Ding ist, aber dennoch den Weg in meinen Magen finden muss, da in Vietnam
niemand bereit ist mir einfach nur Reis mit Gemüse zu kredenzen, auch wenn ich
dafür noch so viel bezahlen würde. Man scheint mich hier generell für einen Perversen
zu halten, wenn ich nach Gemüse frage und ich halte mich selbst schon für einen
Gourmet-Nazi, da ich Schnecken, Schlangen und meine 3-fach tägliche
Fleischportion verschmähe. Zurück im Apartment verspürt jeder das Bedürfnis
sich zu duschen, was etwa 3 Stunden in Anspruch nimmt, da es für 15 Leute ein
Bad gibt. Ich bereite mein Bett auf dem harten, kalten Fliesenboden indem ich
meinen Kopf auf den Rucksack lege. Nachdem der letzte gegen 2 Uhr morgens
sauber ist, kann ich die Augen schließen und zumindest 2 Stunden ruhen, bis wir
um 4 geweckt werden; Sonnenaufgang am Strand steht an. Die Sonne kann mich mal;
ich schlafe weiter. Gegen 8 stehe ich auf, kann mich in Ruhe duschen und fertig
machen. Ich bin der einzige im Apartment und will mir mit Lesen die Zeit
vertreiben, bis die anderen gegen 9 vom Strand wiederkommen. Um 10 ist aber
immer noch niemand da und ich beschließe mir draußen ein Eis zu kaufen, am
Kiosk, dass sich in Mitten der Hochhaussiedlung befindet, die den Namen Seaview
trägt. Leider hat nach Fertigstellung der Wohnanlagen irgendwer diese riesigen
Hügel zwischen das Meer und den Blick gesetzt. Hier wohnen die Reichen – so
wurde mir gesagt – in einer Ostblock-Romantik zwischen grauem Stahl und Beton. Als
die anderen gegen halb 1 wieder zurückkehren, schlafe ich schon wieder. Die
anderen Praktikanten erleichtern mein Gewissen, indem sie mir erzählen, dass
der Sonnenaufgang schon längst keiner mehr war (da 15 Leute 2 Stunden Zähne putzten)
und der Strand nichts mit den Bildern im Internet zu tun hat. Wenig
überraschend, wenn man bedenkt, dass Vung Tau Vietnams einziger Öl-Hafen ist
und die Ölplattform vor der Küste nicht nur das Land, sondern auch den Strand
und das Meer mit Öl versorgt. Nachdem sich wieder jeder geduscht hat, fahren
wir 2 Stunden später mit unserem Truppentransporter, den ich jetzt schon in
mein Herz geschlossen habe, zum Mittagessen. Ich verspüre jedes Mal das
dringende Bedürfnis aufs Dach des Wagens zu klettern, werde aber darauf
hingewiesen, dass man das so nur in Bangladesch, Indien und Pakistan machen
würde.
Heute Mittag steht Oktopus und Tintenfisch auf dem
Speiseplan, die Köche erbarmen sich meiner und lassen mich aus einem Napf
weißen Reis essen; dazu bestelle ich mir noch ein Hühnerbein. Alle sind zum
Rand vollgestopft, doch jetzt geht es weiter zu einem Eisstand, an dem ein
türkischer Auswanderer original türkisches Eis verkauft und damit prächtigen
Erfolg hat. Die Bällchen sind nicht größer als eine Kirsche, , aber teurer als
in Deutschland. Nach dem Eis geht es weiter in ein gemütliches Teehaus, wo es
für mich einen leckeren Mangoshake gibt, in dem geleeartige Kügelchen
schwimmen. Weiter geht es von dort zum Abendessen, mit dem wir den Tag, der
alleine aus Essen und Trinken bestand, beenden wollen.
Auf der offenen Flamme in einem gefliesten Raum, der – wie
alle anderen Restaurants auch – zur Straße hin offen ist, werden Kriechtiere
aller Art und Gattung geschmort. Auf dem Boden, von dem ich auf meinem zwanzig
Zentimeter hohen Kinderhocker aus Plastik, nicht allzu weit entfernt bin,
liegen zertretene Schneckenhäuser und Muscheln mit dazugehörigen Bewohnern, die
hier inmitten des Drecks ihr schleimiges Grab finden. Ich verzichte heute aufs
Abendessen.
Auf dem Rückweg zum Apartment kaufen wir etwas Bier für
unsere kleine Party heute Abend, in der meine unüberwindbare Humorbarriere zu
meinen vietnamesischen Kollegen ihren skurrilen Höhepunkt findet. Nachdem ich
die Wochen davor schon aufgegeben hatte, Sarkasmus oder Ironie zu verwenden,
halte ich es am Wochenende nicht mehr aus und erzähle einfach munter jeden
Blödsinn, der mir so einfällt. Meiner holländischen Kollegin, die seit diesem
Wochenende bei uns ist, geht es mit dem Humor zum Glück genauso und so haben
zumindest wir etwas zu lachen, wenn ich den staunenden Vietnamesen auf dem
Markt vor den Reisigbesen erzähle, dass wir uns in Deutschland damit den Rücken
schrubben oder uns die Zähne putzen. Ich muss das Ganze dann zwar letztendlich
immer aufklären, wenn sie im Begriff sind Deutsche als völlig Verrückte
wahrzunehmen, wir haben aber unseren Spaß und auch der ein oder andere
Vietnamese muss dann lachen.
Bevor wir beginnen unsere gekauften Früchte zu verspeisen
und das vietnamesische Bier zu verköstigen, möchte unsere Projektleiterin eine
japanische Kollegin verabschieden, die uns diese Woche verlässt. Sie ist sehr
schüchtern und redet eigentlich nie, wird nun aber aufgefordert aufzustehen und
ein Lied zu singen, damit wir ihre Stimme einmal hören, was ich leider völlig
daneben finde. Nachdem sie dann sozusagen vom 10er geschubst wurde und ein japanisches
Kinderlied gesungen hatte, sollte sie noch drei Personen nennen, die sie am
liebsten mochte. Die Holländerin und ich können uns kaum noch halten vor
Lachen, da wir das Ganze so unmöglich finden. Ich möchte die Japanerin aus
dieser, auch ihr, sichtlich unangenehmen Situation retten und schlage vor, sie
solle doch die drei Personen nennen, die sie überhaupt nicht mochte, um
aufzuzeigen, dass das hier doch eine unangenehme Sache ist. Wie bereits
erwähnt, weiß jedoch leider keiner wie mit Sarkasmus umzugehen ist und so wird
die Frage nach den drei unliebsamsten Menschen in der Runde an meine japanische
Kollegin weiter gereicht. Wir haben jetzt vor unterdrücktem Lachen Tränen in
den Augen und wissen auch nicht mehr weiter. Zum Glück lassen sie nach einiger
Zeit des Schweigens endlich von ihr ab und wir beginnen die Früchte zu essen
und das Bier zu trinken. Nach einem Bier fallen alle plötzlich in eine extreme
Schläfrigkeit und die, die noch aufstehen können wanken lallend durch den Raum.
Die Party ist beendet und ich suche meinen Schlafplatz auf, auf dem ich diesmal
ganz gut schlafen kann; alles Gewohnheit.
Am nächsten Morgen wollen wir eigentlich wieder früh raus,
da heute ein Drachen-Festival stattfinden soll, dass aber auf Grund eines aufziehenden
Sturms, dessen Ausläufer wir schon gestern bemerkt hatten, ausfällt. Wir
schlafen also noch etwas weiter und fahren dann frühstücken, bevor es wieder im
Bus zurück nach Saigon geht.
Ich bekomme zum Frühstück eine riesen Portion Reis mit süßem
Schweinefleisch, einem Spiegelei, einer, mit Fleisch gefüllten, Teigtasche und
einem Haufen Schweinehaut. Ich kam zwar schon einmal unwissentlich in den
Genuss der Schweinehaut, verzichte aber gerne zu Gunsten eines vietnamesischen
Kollegen darauf. Für den restlichen Tag gesättigt werden wir nun durch den
tropischen Regen zum Busbahnhof gebracht an dem ich dann auch noch eine
kräftige Dusche von oben bekomme, als ich das Gepäck meiner Kollegin aus dem
Kofferraum hole. Es regnet und stürmt wirklich unglaublich und wir stehen bis
in den Knöcheln im Wasser, dass die Straßen wirklich zu Flüssen macht. Der Bus
bahnt sich seinen Weg durch das entgegen fließende Wasser und wir sehen zu, wie
er einen Motorradfahrer nach dem anderen vollspritzt. Wir umkurven umgestürzte
Bäume, fahren über abgerissene Starkstromkabel, die im Wasser liegend nicht das
beste Bild abgeben und erreichen doch irgendwann sicher den Busbahnhof von
Saigon, wo es nicht minder stark regnet. In meinem Zimmer falle ich schon am
frühen Abend ins Bett und bleibe auch da.