Samstag, 15. März 2014

Tag nach Vung Tau



Gestern Abend ist auf Grund eines mächtigen Tropensturms der Strom ausgefallen, was aber zugegebenermaßen auch ein kleiner Wind hätte bewerkstelligen können, wenn man sieht, wie die Starkstromkabel so lässig über den Straßen hängen. Gegen 3 Uhr morgens werde ich wach, weil ich durch das offene Fenster ein lautes Raunen vernehme: „Aahhh, Ohhhh“. Ab 9 Uhr abends ist wirklich niemand mehr auf der Straße, aber um 3 Uhr nachts freut man sich hier gemeinsam über die Rückkehr des Stroms. Am nächsten Morgen komme ich bei der Suche nach Frühstück an einem kleinen Stand vorbei, an dem es anderes als üblich, Brot statt Fleisch gibt. Ich kaufe mir begeistert ein Rosinenbrötchen und ziehe in Richtung Innenstadt auf der Suche nach einem Fitnessstudio in einem Shoppingcenter, von dem ich gelesen habe. Das Vincom-Center ist das neueste und luxuriöseste Shoppingcenter der Stadt und beherbergt zudem noch einige Luxus-Apartments. Beim Betreten der ersten Ebene habe ich zum ersten Mal nicht mehr das Gefühl ganz woanders zu sein. Verteilt auf 6 modern ausgestattete Ebenen gibt es hier alles von Cafés, über Restaurants aus aller Welt bis hin zu Marken wie Versace, Chimmy Choo und Kristalle von Swarovski. Auch hier sind die Läden natürlich völlig überbesetzt und als ich in einem Parfümladen einfach nur Preise vergleichen möchte, werde ich von einer Angestellten verfolgt, die mich mit den neuesten Düften parfümiert. Kurz davor reichte mir ein Verkäufer in einem Buchladen ständig irgendwelche Bücher über Samurai, obwohl ich ihm sagte, ich wolle nur schauen und brauche keine Hilfe. Ich fragte ihn dann doch schließlich nach einem Werk von Hemingway, er fand es nicht, empfahl mir aber eine Liebesgeschichte zwischen einer Amerikanerin und einem Vietnamesen, der eigentlich ein Samurai war und sie deshalb aus der Gefangenschaft der Vietcong befreien kann. Eine sicherlich rührselige Nummer, die sich aber andere durchlesen sollen.
In der unteren Ebene, des in den Boden gebauten Gebäudes, befinden sich so viele Restaurants, dass ich erst einmal ratlos umher irre um dann schließlich bei einem Thailänder hängenzubleiben. Ich bestelle Gemüse mit Tofu in gelbem Curry, da mich hinter diesem Gericht keine roten Chilli auf den Schärfegrad hinweisen. Mein erster Bissen treibt mir direkt Tränen in die Augen, ich huste und merke wie sich die Schweißperlen auf meiner Kopfhaut sammeln. Zum Glück kann ich mit einem Bananenshake nachspülen (An dieser Stelle möchte ich jedem den OpenOffice-Writer ans Herz legen, der „Bananenshake“ nicht akzeptiert und mir stattdessen „Bananenrepublikanisch“ empfiehlt). Nach der Hälfte des Gerichts habe ich stechende Kopfschmerzen, esse aber tapfer weiter.
Gegenüber befindet sich ein äußerst europäischer Supermarkt mit äußerst europäischen Preisen. Hier gibt es wirklich einmal alles, was man brauchen könnte. Auch bekannte Deutsche Marken, von denen mir nicht bekannt war, dass sie hier bekannt sind, wie zum Beispiel „Happy Day“ Fruchtsäfte von Rauch oder Capri-Sonne; Alles hier unbezahlbar, vor allem ein Erdinger Weißbier für 5€ und ein kleines Fässchen Dortmunder Bier (DAB) für etwa 25€.  Ich brauche aber nur Schmierkäse, Marmelade und Klopapier und kaufe mir an der französischen Bäckerei noch ein Baguette. Nun gehe ich meine eigentliche Aufgabe an und suche intensiv nach dem Fitnessstudio, dass es hier geben soll, ich aber noch nicht gefunden habe. Das ganze Center ist noch nicht ganz fertig gestellt, die Beschilderung nicht existent und so werde ich von einem Sicherheitsmann etwas forsch darauf hingewiesen, dass ich die Treppe lieber nicht benutzen sollte. Es sieht auch nicht so aus, als würde mich die Treppe dorthin führen, wohin ich möchte und außerdem hat der Sicherheitsmann mit seinem Elektroschocker die bessere Argumentationsgrundlage für ein Für und Wider. Ein anderer freundlicher Sicherheitsmann zeigt mir dann schließlich den geheimen Aufzug zum Fitnessstudio, mit der Begründung, dass keine Leute aus der Mall ins Studio sollen. Tolle Idee, den Laden vor Kunden zu schützen, das sollten sich deutsche Läden auch einmal überlegen. Zum Beispiel einen Aldi in den Wald bauen, damit nicht versehentlich Leute auf dem Heimweg auf die Idee kommen einfach etwas einzukaufen.

Vung Tau Trip



Anstatt heute zum Unterricht zu fahren, geht es mit Yoga zur Bushaltestelle, wo uns ein Kleintransporter erwartet, der uns zusammen mit einigen anderen AIESECern in die vietnamesische Hafenstadt Vung Tau bringen soll. Die Kleintransporter heißen hier zwar auch alle Ford, Mercedes und Co. haben mit den uns bekannten Modellen aber wenig und unserer Straßenverkehrsordnung gar nichts zu tun. Der Wagen, der dem Deutschen für Kleinstumzüge dient, fasst jetzt etwa 15 Personen in Miniatursitzreihen und bringt uns aber natürlich trotzdem nach 3 Stunden sicher ans Ziel, wo wir von einer dort lebenden Kollegin in Empfang genommen werden. Im Eingangsbereich ihres Elternhauses werden uns Früchte gereicht, die mich endlich wissen lassen, dass es solche Früchte nicht nur in einer Packung „Haribo Tropifrutti“ gibt. Wir besichtigen kurz einen lokalen Markt, auf dem ich glücklicherweise nicht meine Lebensmittel kaufen muss und werden zu unserer Wochenendbleibe gefahren; einem leer stehenden Apartment.
Ein eigens gemieteter Viehtransporter mit kleinen Bänken soll uns die nächsten zwei Tage kutschieren und fährt uns erst mal direkt zum Abendessen. Es gibt Hot Pot, also eigentlich Fisch in Fischsoße, was nicht mein Ding ist, aber dennoch den Weg in meinen Magen finden muss, da in Vietnam niemand bereit ist mir einfach nur Reis mit Gemüse zu kredenzen, auch wenn ich dafür noch so viel bezahlen würde. Man scheint mich hier generell für einen Perversen zu halten, wenn ich nach Gemüse frage und ich halte mich selbst schon für einen Gourmet-Nazi, da ich Schnecken, Schlangen und meine 3-fach tägliche Fleischportion verschmähe. Zurück im Apartment verspürt jeder das Bedürfnis sich zu duschen, was etwa 3 Stunden in Anspruch nimmt, da es für 15 Leute ein Bad gibt. Ich bereite mein Bett auf dem harten, kalten Fliesenboden indem ich meinen Kopf auf den Rucksack lege. Nachdem der letzte gegen 2 Uhr morgens sauber ist, kann ich die Augen schließen und zumindest 2 Stunden ruhen, bis wir um 4 geweckt werden; Sonnenaufgang am Strand steht an. Die Sonne kann mich mal; ich schlafe weiter. Gegen 8 stehe ich auf, kann mich in Ruhe duschen und fertig machen. Ich bin der einzige im Apartment und will mir mit Lesen die Zeit vertreiben, bis die anderen gegen 9 vom Strand wiederkommen. Um 10 ist aber immer noch niemand da und ich beschließe mir draußen ein Eis zu kaufen, am Kiosk, dass sich in Mitten der Hochhaussiedlung befindet, die den Namen Seaview trägt. Leider hat nach Fertigstellung der Wohnanlagen irgendwer diese riesigen Hügel zwischen das Meer und den Blick gesetzt. Hier wohnen die Reichen – so wurde mir gesagt – in einer Ostblock-Romantik zwischen grauem Stahl und Beton. Als die anderen gegen halb 1 wieder zurückkehren, schlafe ich schon wieder. Die anderen Praktikanten erleichtern mein Gewissen, indem sie mir erzählen, dass der Sonnenaufgang schon längst keiner mehr war (da 15 Leute 2 Stunden Zähne putzten) und der Strand nichts mit den Bildern im Internet zu tun hat. Wenig überraschend, wenn man bedenkt, dass Vung Tau Vietnams einziger Öl-Hafen ist und die Ölplattform vor der Küste nicht nur das Land, sondern auch den Strand und das Meer mit Öl versorgt. Nachdem sich wieder jeder geduscht hat, fahren wir 2 Stunden später mit unserem Truppentransporter, den ich jetzt schon in mein Herz geschlossen habe, zum Mittagessen. Ich verspüre jedes Mal das dringende Bedürfnis aufs Dach des Wagens zu klettern, werde aber darauf hingewiesen, dass man das so nur in Bangladesch, Indien und Pakistan machen würde.
Heute Mittag steht Oktopus und Tintenfisch auf dem Speiseplan, die Köche erbarmen sich meiner und lassen mich aus einem Napf weißen Reis essen; dazu bestelle ich mir noch ein Hühnerbein. Alle sind zum Rand vollgestopft, doch jetzt geht es weiter zu einem Eisstand, an dem ein türkischer Auswanderer original türkisches Eis verkauft und damit prächtigen Erfolg hat. Die Bällchen sind nicht größer als eine Kirsche, , aber teurer als in Deutschland. Nach dem Eis geht es weiter in ein gemütliches Teehaus, wo es für mich einen leckeren Mangoshake gibt, in dem geleeartige Kügelchen schwimmen. Weiter geht es von dort zum Abendessen, mit dem wir den Tag, der alleine aus Essen und Trinken bestand, beenden wollen.
Auf der offenen Flamme in einem gefliesten Raum, der – wie alle anderen Restaurants auch – zur Straße hin offen ist, werden Kriechtiere aller Art und Gattung geschmort. Auf dem Boden, von dem ich auf meinem zwanzig Zentimeter hohen Kinderhocker aus Plastik, nicht allzu weit entfernt bin, liegen zertretene Schneckenhäuser und Muscheln mit dazugehörigen Bewohnern, die hier inmitten des Drecks ihr schleimiges Grab finden. Ich verzichte heute aufs Abendessen.
Auf dem Rückweg zum Apartment kaufen wir etwas Bier für unsere kleine Party heute Abend, in der meine unüberwindbare Humorbarriere zu meinen vietnamesischen Kollegen ihren skurrilen Höhepunkt findet. Nachdem ich die Wochen davor schon aufgegeben hatte, Sarkasmus oder Ironie zu verwenden, halte ich es am Wochenende nicht mehr aus und erzähle einfach munter jeden Blödsinn, der mir so einfällt. Meiner holländischen Kollegin, die seit diesem Wochenende bei uns ist, geht es mit dem Humor zum Glück genauso und so haben zumindest wir etwas zu lachen, wenn ich den staunenden Vietnamesen auf dem Markt vor den Reisigbesen erzähle, dass wir uns in Deutschland damit den Rücken schrubben oder uns die Zähne putzen. Ich muss das Ganze dann zwar letztendlich immer aufklären, wenn sie im Begriff sind Deutsche als völlig Verrückte wahrzunehmen, wir haben aber unseren Spaß und auch der ein oder andere Vietnamese muss dann lachen.
Bevor wir beginnen unsere gekauften Früchte zu verspeisen und das vietnamesische Bier zu verköstigen, möchte unsere Projektleiterin eine japanische Kollegin verabschieden, die uns diese Woche verlässt. Sie ist sehr schüchtern und redet eigentlich nie, wird nun aber aufgefordert aufzustehen und ein Lied zu singen, damit wir ihre Stimme einmal hören, was ich leider völlig daneben finde. Nachdem sie dann sozusagen vom 10er geschubst wurde und ein japanisches Kinderlied gesungen hatte, sollte sie noch drei Personen nennen, die sie am liebsten mochte. Die Holländerin und ich können uns kaum noch halten vor Lachen, da wir das Ganze so unmöglich finden. Ich möchte die Japanerin aus dieser, auch ihr, sichtlich unangenehmen Situation retten und schlage vor, sie solle doch die drei Personen nennen, die sie überhaupt nicht mochte, um aufzuzeigen, dass das hier doch eine unangenehme Sache ist. Wie bereits erwähnt, weiß jedoch leider keiner wie mit Sarkasmus umzugehen ist und so wird die Frage nach den drei unliebsamsten Menschen in der Runde an meine japanische Kollegin weiter gereicht. Wir haben jetzt vor unterdrücktem Lachen Tränen in den Augen und wissen auch nicht mehr weiter. Zum Glück lassen sie nach einiger Zeit des Schweigens endlich von ihr ab und wir beginnen die Früchte zu essen und das Bier zu trinken. Nach einem Bier fallen alle plötzlich in eine extreme Schläfrigkeit und die, die noch aufstehen können wanken lallend durch den Raum. Die Party ist beendet und ich suche meinen Schlafplatz auf, auf dem ich diesmal ganz gut schlafen kann; alles Gewohnheit.
Am nächsten Morgen wollen wir eigentlich wieder früh raus, da heute ein Drachen-Festival stattfinden soll, dass aber auf Grund eines aufziehenden Sturms, dessen Ausläufer wir schon gestern bemerkt hatten, ausfällt. Wir schlafen also noch etwas weiter und fahren dann frühstücken, bevor es wieder im Bus zurück nach Saigon geht.
Ich bekomme zum Frühstück eine riesen Portion Reis mit süßem Schweinefleisch, einem Spiegelei, einer, mit Fleisch gefüllten, Teigtasche und einem Haufen Schweinehaut. Ich kam zwar schon einmal unwissentlich in den Genuss der Schweinehaut, verzichte aber gerne zu Gunsten eines vietnamesischen Kollegen darauf. Für den restlichen Tag gesättigt werden wir nun durch den tropischen Regen zum Busbahnhof gebracht an dem ich dann auch noch eine kräftige Dusche von oben bekomme, als ich das Gepäck meiner Kollegin aus dem Kofferraum hole. Es regnet und stürmt wirklich unglaublich und wir stehen bis in den Knöcheln im Wasser, dass die Straßen wirklich zu Flüssen macht. Der Bus bahnt sich seinen Weg durch das entgegen fließende Wasser und wir sehen zu, wie er einen Motorradfahrer nach dem anderen vollspritzt. Wir umkurven umgestürzte Bäume, fahren über abgerissene Starkstromkabel, die im Wasser liegend nicht das beste Bild abgeben und erreichen doch irgendwann sicher den Busbahnhof von Saigon, wo es nicht minder stark regnet. In meinem Zimmer falle ich schon am frühen Abend ins Bett und bleibe auch da.

Koh Rong


Nach dem Frühstück bringt uns ein Pick-Up-Van zusammen mit einigen anderen Backpackern zum Hafen, wo uns ein kleines, uriges Charter-Boot nach Koh Rong bringen soll; eine Insel etwa 3 Stunden bei Boot von Sihanoukville entfernt. Auf dem Boot befinden sich ausschließlich Backpacker, also vorwiegend Alternative in den Zwanzigern. Alternativ ist erwartungsgemäß auch die „Board-Toilette“, die ich leider nicht auslassen konnte. Lediglich ein Loch im Boden weist den Gast darauf hin, dass dort wohl eine Gute Stelle ist, um sich (oder eben „es“) niederzulassen. Die 3-stündige Fahrt an den, der Küste vorgelagerten Inseln entlang, ist nett, aber unspektakulär. Umso aufregender ist die Anfahrt auf die Insel. Schon von Weitem strahlt uns der lange, weiße Strandabschnitt entgegen, der den hügeligen Urwald im Inneren der Insel umgibt. Der Landesteg ist hölzern und der Ausstieg aus dem Boot mit Gepäck fordert sportliches Geschick. Am Ende des Stegs befindet sich das kleine Fischerdorf der Einheimischen.
Unsere Hütten befinden sich direkt am Strand und sind ausschließlich aus Holz, gebaut auf Stelzen.
Es gibt ein Bett mit Mosquito-Netz und einen Kasten, der wohl als Kleiderschrank dient. Ich mache die Klappe auf und mache erst einmal einen Schritt zurück, da der Kasten bereits von einer ziemlich großen Echse bewohnt wird, die kommt und geht wann sie will, da die Hütte kein geschlossenes Dach hat.
Der zentrale Platz ist eine große Holzhütte mit einigen Tischen und einer runden Bar, um die einige Reisende sitzen und ihren Joint paffen, den man hier ganz legal für $1,50 erwerben kann. Frische Ware nach unserem Geschmack sind dann eher die frischen Kokosnüsse, die im Fischerdorf direkt von den Bäumen geholt und mit dem Säbel geöffnet werden.
Der weiße Strand ist wirklich eine Schönheit. Wir laufen am Wasser entlang und starten eine Unterhaltung mit einem Niederländer. Nach einer Weile zeigt er auf meine Beine. Ich sehe hinunter und stelle verwundert fest, das Blut aus verschiedenen Stellen meiner Beine austritt und meinen Fuß hinunter läuft. Der ganze Strand ist leider voll mit Strandflöhen, die einem langsam und gemächlich die Haut vom Körper knabbern. Das ist der Teil von „Natur“ in „Naturstrand“, den man leider vergisst. Sonnen ist nicht.
Besser ein Kanu mieten und zu einer kleinen nahegelegenen Insel paddeln, die gar nicht mehr so nahe ist, wenn man selbst paddeln muss. Als wir ankommen, sind meine Arme schon durch, aber der Weg hat sich gelohnt. Die Insel ist vielleicht 40m x 40m groß. Eine Treppe eingerahmt von zwei Geländern in Schlangenform, die am Sockel zu großen Köpfen zusammenlaufen. Auf dem Hügel oben ist eine kleine Pagode mit Buddha-Statue. Niemand ist zu sehen, doch einige Räucherkerzen qualmen noch. Ein mystischer Ort.

Mittwoch, 4. April 2012

Tag 13 Kambodscha (Sihanoukville)



In der Nacht endecke ich noch ein paar interessante Informationen bezüglich des korrekten Verhaltens während des Hotelaufenthalts, die ich einem Schild neben dem Bett entnehme. Die wichtigsten Regeln habe ich einmal mit Pfeilen versehen (anklicken zum Vergrößern): 




Im Bus nach Sihanoukville


Unser Bus nach Sihanoukville führt uns wieder auf einer holprigen Straße an unzähligen Hütten vorbei in Richtung Küste. Irgendwann schaltet ein Mitarbeiter der Busgesellschaft den Bildschirm im vorderen Teil des Busses ein und wir werden den Rest der Fahrt von kambodschanischen Pop-Schnulzen unterhalten, die mit Untertitel zum Mitsingen einladen. Die dazugehörigen Musikvideos bieten leider eher wenig Abwechslung und laufen zu 90% genau folgendermaßen ab: Eine junge Frau arbeitet auf einem Feld/ in einer Küche/ in einem Kindergarten. Sie macht uns mimisch unmissverständlich deutlich, dass sie unglücklich mit ihrer Gesamtsituation ist. Dann sieht man plötzlich Füße und die Kamera bewegt sich langsam hoch, bis man einen jungen Mann sieht, der lässig auf den Ort des Geschehens zu geht. Wichtig zu erwähnen ist, dass sich jedes, wirklich jedes Video in Zeitlupe abspielt. Die Frau ist beim Anblick des Mannes, der in Slow-Motion lässig um die Ecke kommt, völlig hin und weg und überglücklich. Sie rennen – natürlich in Zeitlupe aufeinander zu und reichen sich im großen Finale die Händchen. Die Zeitlupe erlaubt es, die Story recht bündig zu halten. In den anderen 10% der Videos bewegt ein süd-ost-asiatischer Florian Silbereisen seine Lippen und sich selbst völlig unbeholfen zum Takt der Musik.
Als uns der Busfahrer eine Pause von diesen kaum zu unterschätzenden künstlerischen Darbietungen gewährt und uns vor einem Touri-Restaurant absetzt scharen sich sofort einige Mönche um uns und halten ihre Beutel vor. Bettelmönche. In Reisesendungen eine romantische Sache, und auch ich war Zeit meines Lebens stets fasziniert und angetan von diesen buddhistischen Mönchen. Nüchtern betrachtet und die Religion der Menschen hier einmal außen vor gelassen ist das ganze allerdings grenzwertig. Sobald unser Bus hält, strömen die Mönche in Scharen und nehmen Wertgegenstände in jeglicher Form gegen eine kleine Segnung gerne entgegen. Das Mönchsdarsein ist hier eine Art Sozialsystem, in dem es die Armen von den Ärmsten nehmen. Abgemagerte Kambodschaner geben ihren letzten Löffel Reis im Glauben ihrer Seele etwas Gutes zu tun. Die Mönche in den Klöstern führen, abgesehen von der eingeschränkten Freiheit, ein sicheres Leben. In Phnom Penh berichtet man uns auf die Frage, ob sie auch außerhalb des Klosters äßen, dass sie öfter eingeladen werden. Sie dürfen selbst kein Geld besitzen, lassen dafür aber einfach ihre Studenten Eiscreme oder Pizza unentgeltlich herbeischaffen. Sicherlich gibt es auch diese noblen Mönche aus den Erzählungen, aber ich habe jetzt leider auch ein ganz anderes Bild.


Sihanoukville, nah am Wasser gebaut

Vom Busbahnhof in Sihanoukville werden wir mit einem leider viel zu teuren Tuk-Tuk ins Stadtzentrum gefahren. Ein sehr beschaulicher, und ruhiger Ort. Kein Dreck keine Menschenmassen keine engen Gassen. Ein Gasthaus reiht sich ans andere; die meisten im Besitz von Briten, die hier wohl irgendwann gestrandet sind, als sie, wie die vielen anderen hier mit dem Rucksack die Welt erkunden wollten. In einer Bar, die wir aus dem Internet kannten, trinken wir Shakes für einen Dollar und wollen nach einer Bleibe für heute Nacht fragen. Um uns ausschließlich Briten und Australier, 20-30 Jahre alt. Manche sind schon seit Monaten unterwegs und haben Länder gesehen, die die meisten von uns nicht einmal kennen. Mann trägt hier Bart. Einen richtigen. Quasi das Must-Have, das Erkennungszeichen, dass man es ernst meint mit dem Rucksack. Alle Zimmer sind belegt. Im nächsten Hostel auch, genauso wie im nächsten und übernächsten. 

Schließlich finden wir eine äußerst gemütliche Bleibe an der Ecke der Straße, die danach abknickt um nach unten Richtung Strand zu führen. In der großen Hütte aus Holz und getrockneten Palmenwedeln probt eine Band von Auswanderern, dahinter befindet sich ein ruhiger Platz von dem aus, die wenigen Bungalows zu erreichen sind. Erst möchte man uns für 4$ die Nacht in eine 8 Personen-Hütte stecken, wir bezahlen aber gerne ein paar Dollar mehr und haben unsere eigenen vier Holzwände aus Stöcken, die die Sicht nach draußen nicht ganz verwehren. Ein Dach gedeckt mit Palmenwedeln sitzt locker auf. Zu den Seiten hin ist es offen. Im Inneren steht genau ein Bett mit Moskitonetz, die Dusche ist natürlich kalt. Nichts für Komfort-Liebende, aber für uns genau richtig. Die Verfügbarkeit warmen Wassers hätte mich sogar enttäuscht, auch wenn ich immer einige Zeit brauche, bis ich mich morgens in die Kälte wage.




Otres Beach

Nachmittags wollen wir uns am Strand mit zwei der Mädchen treffen, die wir am Tag davor im Restaurant kennengelernt hatten und die heute ebenfalls einen Ausflug unternehmen. Bei der Gelegenheit treffen wir auf den ersten ehrlichen Tuk-Tuk-Fahrer, den wir abseits des Zentrums antreffen. Er könne uns für $5 direkt an den Strand fahren oder für $3 ganz in die Nähe, von woaus wir nur noch einige Meter laufen müssten. Wir entscheiden uns für die kurze Variante und als wir aussteigen, gibt er uns noch den Tipp nach Anbruch der Dunkelheit auf die lange Route zu verzichten, da dort um Waldstück des Öfteren Touristen ausgenommen würden. Wir geben ihm ein kleines Trinkgeld über das er sich freut wie Weihnachten. Bei den Preisen hier geht es ums Prinzip und diejenigen die trotz Armut ehrlich bleiben, verdienen Respekt und ein paar Cent extra. Als wir endlich am Strand sind, sind die Mädels schon weg. Sie sind nach der Arbeit um 2 Uhr morgens losgefahren und mussten früh wieder zurück, da sie nicht frei haben und Schlaf brauchen.
Der Strand liegt abseits der anderen Strände und ist wirklich schön und natürlich. Das Wasser ist türkis und hat Badewannentemperatur. Wir legen uns auf eine der zahlreichen Liegen vor den netten, gemütlichen Strandbars und bestellen die nächsten köstlichen Fruchtshakes, deren Kosten sich natürlich wieder im Eurocent-Bereich aufhalten. Der Strand ist ein Geheimtipp und wirklich ein ruhiger, von Touristen verschonter Ort mit feinem weißen Sand.
Unser Weg zurück ins Dorf, führt uns an einer Siedlung vorbei, in dem die Einheimischen leben. Hier sehen wir jetzt wirklich die Hütten, die man in den Werbespots der Welthungerhilfe und Co. zu sehen bekommt. Sechs Quadratmeter aus Holz, der Boden mit Fellen ausgelegt, ein Mensch ein Quadratmeter. Trotzdem sehen die Menschen zufrieden aus, wie sie an der Straße Fische und Fleisch bearbeiten, Wäsche waschen, oder die Kuhherden antreiben. Zum unglücklich sein sind sie wohl auch einfach zu arm. Was soll ihnen zu ihrem Glück fehlen? Einmal genug zu Essen? Den kleinen Jungen, der am Wegesrand eine Route und die Verantwortung über eine Herde Kühe trägt, wird das fehlen eines IPhones jedenfalls nicht ins Tal der Tränen führen. Keine Schulkameraden die ihn mit der neusten Mode herausfordern. Wir fahren auf unserem erhöhten, überdachten Tuk-Tuk, wie durch einen Themenpark. Ich traue mich gar nicht in die Armut zu schauen, mit meiner Kamera um den Hals.


Am Abend

Zurück im Dorf finden wir unser Abendessen, ein Haus weiter, im einzigen einheimisch geführten „Restaurant“ der Straße. Das Hauptgericht sowie ein Fruchtshake kosten uns hier je einen Dollar. Als wir draußen auf unser Essen warten kommt ein Mann in alter, amerikanischer Militäruniform mit einem kleinen Jungen an der Hand an einen Nachbartisch und bettelt. Ein Stock unterstützt sein verkümmertes Bein auf der rechten Seite. Er sowie der Junge sehen erschöpft aus. Wir bestellen den Beiden eine große Portion Reis und kaufen eine große Flasche Wasser im gegenüberliegenden Supermarkt. Unsere Bitte, sich zu uns zu setzten, scheint er aber nicht annehmen zu können und wartet auf der Straße sitzend auf sein Essen. Sein Kind hält er liebevoll in den Armen und streichelt ihm über den Kopf. Als er sein Essen vom Kellner in Empfang nimmt, verbeugt er sich so tief er kann und zieht glücklich weiter. Wir geben Bettlern ausnahmslos kein Geld, da es in 90% bei Banden landet, aber wenn zwei ausgehungerte Menschen auf der Straße sitzen, während wir uns im Urlaub die Speiseröhre versiegeln, sollte man diese Menschen zumindest für einen Abend satt machen. Anders hätte ich auch zugegebenermaßen keinen Appetit entwickelt. Eine Win-Win-Situation.
Wir schlendern die Straße hinab ans Meer und laufen dort die ganzen schönen Strandbars ab, die sich unmittelbar am Meer befinden. Keine Straßen, kein Lärm, keine Menschen. Die Bars sind völlig verlassen und für $12 die Nacht gibt es einen Holzbungalow mit Meerblick. Wir setzen uns auf den Kai und beobachten die Jugendlichen, die mit brennenden Holzfackeln und Ketten irre, akrobatische Kunststücke vorführen. Auf dem Rückweg zum Bungalow lassen wir uns noch spontan für $4 eine halbe Stunde lang die Füße in einem sehr gemütlichen kleinen Spa massieren. Danach sahen meine Füße, die in der Hitze zu undefinierbaren Klumpen angeschwollen waren, schon gleich etwas besser aus.

Montag, 2. April 2012

Tag 12 Kambodscha (Phnom Penh)


 
Im Bus nach Kambodscha
Der Bus nach Phnom Penh sieht recht komfortabel aus, es gibt Wasser und etwas Gebäck. Wir brauchen einige Zeit, um der 8-Millionen-Stadt zu entrinnen und im geografischen Nirgendwo Richtung kambodschanische Grenzstation zu steuern. Die Angestellten der Busgesellschaft haben vorher unsere Pässe eingesammelt und die Visa-Angelegenheiten für uns geklärt. Das Visum kostet 20$ und ist problemlos an der Grenze zu haben. Die Kontrolleure rufen unsere Namen auf, es werden Fingerabdrücke genommen und ein schickes Foto geschossen. 
Dann geht es durch eine Tür an der „Quarantäne“ geschrieben steht. Ein Mann mit Mundschutz sagt etwas zu mir, dass sich wie „hair check“ anhört (wohl aber Health-Check meint) und ich hoffe, dass mein Drei-Tage-Bart den kambodschanischen Einreisebestimmungen genüge tut. Er hält mir einen Laserpointer an die Backe und auf einem Display erscheint eine Zahl, die dem Beamten offenbar gefällt, sodass ich passieren darf; schön wenn man gesund ist. Ich frage mich, ob sie hier in der Medizin Lichtjahre voraus sind, oder, ob sie mich veräppeln wollen. 
Wir steigen wieder in den Bus und fahren unmittelbar hinter der Grenze an einigen riesigen Casino-Hotels vorbei, die in karger Landschaft völlig alleine stehen. Ohne es wissen zu müssen, kann man wohl davon ausgehen, dass Glücksspiel für Vietnamesen nicht zu den legalen Vergnügungen gehört. Weiter geht es auf einer einigermaßen asphaltierten Landstraße durch eine unwirkliche Landschaft aus Staub, Dreck und vereinzelten Palmen. Bald sehen wir die ersten Hütten und Farmen am Straßenrand, die sich die restlichen 3 Stunden bis nach Phnom Penh in dieser Weise fortführen. Die Holzhütten sind meist auf Stelzen gebaut, um in der Regenzeit vor den Fluten des, noch kleinen, Flusses zu schützen, der den Siedlungen entlang der Straße als Lebensader dient. Kühe und Rinder laufen auf der Straße, 50 Leute fahren mit einem Pick-up, der zu einem rollenden Käfig umfunktioniert wurde und die seltsamsten, selbstgebauten Fahrzeuge sind zu bestaunen. Das beeindruckendste sind jedoch die prächtigen, goldenen Pagoden die völlig selbstverständlich die Landschaft zwischen den ärmlichen Hütten aus Holz und Blech füllen.




Phnom Penh

Als der Bus in der Hauptstadt Phnom Penh anhält und uns ausspuckt in die Undurchsichtigkeit des Großstadt-Molochs, werden wir sofort von einem Tuk-Tuk-Fahrer in Empfang genommen. Wir wollen nicht überrumpelt werden und gehen erst mal ein Stückchen weiter, um uns dann doch für $2 durch die Stadt fahren zu lassen, um ein Hostel zu finden, dass uns die Nacht über beherbergen möchte. Nach einigen Fehlversuchen finden wir dann schließlich ein kleines Zimmer, dass uns nach etwas Handeln $12 kostet. Das Zimmer hat zwar kein Fenster, dafür aber reichlich Schimmel an der Decke. Wir sind an unserem ersten Tag noch fit und sehen das Zimmer als Chance "landestypisch" zu nächtigen.
Phnom Penh ist eine von den Franzosen gestaltete Stadt, die allerdings nichts Koloniales mehr hat und je nachdem wo man ist, eher wie ein großes Slam scheint. Am Rande der Stadt fließt der Tonle Sap Fluss in den gewaltigen Mekong. Der Uferpromenade merkt man die Armut des Landes nicht an, sie präsentiert sich hell gepflastert mit Palmen und gepflegten Beeten wie eine Flaniermeile in Südfrankreich oder Kalifornien. Eine Gruppe von Menschen macht Fitnessübungen zum Takt der Diskomusik, die aus dem Ghetto-Blaster dröhnt und Kinder spielen mit allem was sie so finden. Auf der anderen Straßenseite befindet sich eine große prachtvolle Pagode umgeben von einigen anderen Tempeln eingeschlossen von einer großen Mauer, die der Tempelanlage das Erscheinungsbild einer kleinen Stadt in der Stadt gibt. Wir wagen uns nicht so richtig auf den Hof, da wir außer uns keine Touristen erkenne können. die Mönche lächeln aber freundlich und bitten uns die vielen Stufen hinauf zum Haupttempel, während andere in einer Hollywoodschaukel sitzen und Tee schlürfen. Ein relativ junger Mönch gewährt uns einen Einblick in den Gebetsraum und ist sichtlich froh darüber, sein erlerntes Englisch anwenden zu können. Ich unterhalte mich etwas mit ihm, bis er mich unterbricht, weil er gerne noch einen weitere Gast begrüßen möchte. Ich schließe mich wieder Sandhya an, die schon etwas voraus war und wir treffen auf einen weiteren Mönch, der schon älter ist und sich auf seinen urigen Gehstock stützt. Wir werden zusammen mit einem Rentnerpärchen durch die Pagode geführt und haben die Chance etwas über das Leben der Mönche im Kloster zu erfahren. Zum Beispiel, dass sich die meisten wegen des Studiums für das Mönchsdasein entscheiden und nicht etwa auf Grund irgendwelcher Erleuchtungen. Kambodscha ist eines der ärmsten Länder der Welt und das Klosterleben bring sichere Verpflegung und Ansehen mit sich. Keine schlechte Sache, vor allem für junge Männer vom Land. Unter dem Dach der Pagoda zeigen uns die Mönche einen großen Raum, der erst seit 2 Monaten geöffnet ist und erzählen uns, dass sie drei Tage brauchten um den Boden von Vogelkot zu befreien. Leider gibt es kein Licht, sodass ich die große Buddhastatue und die tollen Wandverzierungen, die Geschichten aus dem Buddhismus erzählen, mit meinem Handy anleuchten muss, was aber eine besondere Atmosphäre erzeugt. Die Klosteranlage zählt nicht zu den Haupt-Sehenswürdigkeiten der Stadt, ist aber gerade deshalb ein wirklich ganz besonderes Erlebnis fern von touristischen Einflüssen.
Am Abend machen wir uns auf der Suche nach etwas Essbarem auf den Weg ins Barviertel, indem sich unser Hostel glücklicherweise schon befindet. Hier befinden sich hauptsächlich die Unterkünfte der Rucksacktouristen. Hier gibt es keine Trennung zwischen Bar- und Rotlichtviertel. Fast alle Bars hier sind „Hostessenbars“, was einfach heißt, dass man sich hier bei Interesse den Weg in bestimmte Etablissements sparen kann, da die relativ leicht bekleideten Mädchen bereits zwischen den Gästen sitzen. Wir versuchen ein Lokal ausfindig zu machen, indem man uns ohne Hintergedanken die Speisekarte reicht und bestellen zweimal Pizza und Cocktails. Von der Terrasse aus haben wir einen guten Blick auf die Geschehnisse um uns herum und vor allem ins gegenüberliegenden Lokal, wo einige betagte Touristen von einer Vielzahl deutlicher attraktiverer, junger Damen umgeben sind; sicher wegen der feinen Charaktere der älteren Herren. Am Nebentisch verkauft ein Straßenhändler Spieße, die ich sonst nur als Äskulapstab von Krankenwagen kannte. Die feundliche Kellnerin bemerkt unsere erstaunten Blicke und bietet uns einen solchen zum Probieren an. Wir sehen heute beide keinen Bedarf an einer Schlange zu kauen und lehnen - obwohl die Schlange mich erwartungsvoll anzusehen scheint – dankend ab. Nachdem wir Pizza und Cocktail verzehrt haben, werden wir von der Sängerin gebeten uns drinnen an die Bar zu setzen, damit wir der Musik lauschen können und sie nicht für sich alleine singen muss. Wir kommen mit allen Angestellten schnell ins Gespräch, was auch an unserer Kamera liegt, die die Mädchen immer wieder suchen, und in der Pause nimmt Toni, die Sängerin und eine kräftige herzliche Frau, unsere Musikwünsche entgegen. Wir tauschen Kontaktdaten aus und werden vom gesamten Personal mit Umarmungen verabschiedet, bevor Toni ihre Performance in der Mitte unterbricht, um das Gleiche zu tun.

Montag, 26. März 2012

Tag 11


Anh Linh Waisenhaus

Bevor ich morgen meinen verfrühten Urlaub antreten werde, soll ich heute noch insgesamt drei Klassen im Anh Linh Waisenhaus unterrichten. Ich unterrichte am Morgen zusammen mit Yoga, mit dem ich mir zu diesem Zweck gestern Nacht noch ein paar Unterrichtsinhalte überlegt hatte. Der Weg zum Waisenhaus ist ein etwas weiterer und wir brauchen bis zur Pforte des Hofes mit Bus und Umsteigen etwa eine Stunde. Obwohl ich bereits am Freitag hier unterrichtet hatte, ist es heute Morgen wieder ganz anders. Da die Morgen-Klassen für die Kinder verpflichtend sind, tragen alle ihre Uniformen und werden von ihren Lehrern beäugt, die allerdings nicht mehr als anwesend sind. Als wir den Unterricht eröffnen sollen, erfahre ich zum ersten Mal von der Existenz der Lehrbücher. Alle Vorbereitung ist natürlich umsonst, wenn ich nicht hellsehen kann, dass die 8-Uhr-Klasse gerade die Familienmitglieder lernt und sich die 10-Uhr-Klasse mit dem Wetter beschäftigt. Aber das ist natürlich wieder unser Problem und ich sehe mich stammelnd vor den Kindern stehen und diese einige Sätze nachsprechen lassen.  Die Zeit geht zum Glück schnell vorbei und als wir der nächsten Klasse das Wetter beibringen sollen, bin ich besser vorbereitet. Wir malen ein paar Wolken mal mit Regen, mal ohne, mal pustend, eine lächelnde Sonne und der Laden läuft. Als die Kinder dann noch die entsprechenden Wetterlagen zeichnen dürfen, ist das Spiel entschieden.
Nach Ende des Unterrichtes  und meiner traditionellen Ansprache zur katastrophalen Informationspolitik nehme ich den Bus zurück zu meinem Zimmer, von dem ich Sandhya abhole, die sich zumindest den Nachmittagsunterricht nicht entgehen lassen möchte. Wir fahren wieder zurück in den abgelegeneren Distrikt in dem sich das Waisenhaus befindet und treffen auf dem letzten Stück, welches man zu Fuß bewältigen muss auf meine Kollegin aus Deutschland. Wir sind etwas früh dran und essen, während wir auf dem Hof, auf das Eintreffen der lokalen Helfer warten unser Reis-Frühstück, das wir uns vor der Busfahrt einpacken haben lassen. Bevor es mit dem Unterricht dann letztendlich los geht, werden wir von den Kindern noch in ihr Versteck-Spiel integriert.
Meine japanische Kollegin hat sich glücklicherweise akribisch vorbereitet, sodass wir nur ihren Anweisungen folgen müssen. Wir singen mit den Kindern ein typisches Kinderlied, dass es wohl in allen Ländern der Welt gibt. Ein kleines Mädchen schließe ich direkt in mein Herz, das permanent verschämt meine Aufmerksamkeit sucht und an mir hängt. In der Pause sind die Kinder dann vor allem mit unserer Kamera beschäftigt. Sie lassen sich freudig knipsen und ein Mädchen traut sich auch einmal selbst abzudrücken. Die zweite Unterrichtshälfte verbringen wir draußen auf dem Hof. Die Kleinen sollen uns Verben nennen, die wir pantomimisch darzustellen versuchen und im Anschluss spielen wir ein Laufspiel meiner japanischen Kollegin, dass die Kinder im Gegensatz zu mir, der nur planlos umherirrt, zu verstehen scheinen und fröhlich stimmt.  Ein Mädchen ist jedoch den ganzen Tag still und scheint nicht in der Lage zu sein, ihre Gesichtsmuskeln zu einem Lachen zu bewegen. Ich versuche ihr ein solches zu entlocken, habe aber keine Chance und erfahre, dass das wohl immer so sei. Mein vietnamesischer Kollege sagt mir, dass das einfach ihr Gesicht wäre, sie hat kein anderes. Sie scheint wie die Protagonistin einer dieser Hollywoodschnulzen die von einer außergewöhnlichen Freundschaft zwischen einem Erwachsenen und einem, vom Leben gezeichneten, Kind erzählt. Das hier ist allerdings Saigon, nicht Hollywood und ich habe auch keine dieser lebensverändernden Phrasen parat, die ihr, unterlegt mit pathetischer Musik, ihren Schmerz nehmen und Zuversicht geben.
Bevor wir den Heimweg antreten, zeigt mir Sandhya noch den Nähraum, den sie zuvor entdeckt hatte. Die Lehrerin erklärt uns, dass die Kinder von überall hierher kommen um zu lernen, wie sie Geld verdienen können. Mit diesem Wissen arbeiten sie dann später in den Textilfabriken der großen Hersteller und nähen dann vielleicht unsere lächerlich teuren Marken-Klamotten. Ein komisches Gefühl. Doch diese Kinder sind froh und glücklich, dass sie sich und ihren Familien eine Lebensgrundlage schaffen und erhalten können. Und die Textilien, die sie hier nähen, sind wirklich von außergewöhnlicher Qualität. Die ganze Kinderarbeitsdebatte ist eine schwierige und sicherlich nicht mit unseren westlichen Maßstäben zu diskutieren.
Am Abend sitzen wir wieder auf dem Dach des Hotel Rex und lassen uns von der philippinischen Band und der englischen Reisegruppe unterhalten, die, direkt vor der Bühne postiert, sehr zu meiner Freude, keine Peinlichkeit auslässt. Wieder zu Hause wird dann noch schnell gepackt, damit wir morgen unsere Busreise nach Phnom Penh antreten können, die wir noch am Mittag in einem Reisebüro im Backpacker-Distrikt gebucht hatten.