Montag, 26. März 2012

Tag 11


Anh Linh Waisenhaus

Bevor ich morgen meinen verfrühten Urlaub antreten werde, soll ich heute noch insgesamt drei Klassen im Anh Linh Waisenhaus unterrichten. Ich unterrichte am Morgen zusammen mit Yoga, mit dem ich mir zu diesem Zweck gestern Nacht noch ein paar Unterrichtsinhalte überlegt hatte. Der Weg zum Waisenhaus ist ein etwas weiterer und wir brauchen bis zur Pforte des Hofes mit Bus und Umsteigen etwa eine Stunde. Obwohl ich bereits am Freitag hier unterrichtet hatte, ist es heute Morgen wieder ganz anders. Da die Morgen-Klassen für die Kinder verpflichtend sind, tragen alle ihre Uniformen und werden von ihren Lehrern beäugt, die allerdings nicht mehr als anwesend sind. Als wir den Unterricht eröffnen sollen, erfahre ich zum ersten Mal von der Existenz der Lehrbücher. Alle Vorbereitung ist natürlich umsonst, wenn ich nicht hellsehen kann, dass die 8-Uhr-Klasse gerade die Familienmitglieder lernt und sich die 10-Uhr-Klasse mit dem Wetter beschäftigt. Aber das ist natürlich wieder unser Problem und ich sehe mich stammelnd vor den Kindern stehen und diese einige Sätze nachsprechen lassen.  Die Zeit geht zum Glück schnell vorbei und als wir der nächsten Klasse das Wetter beibringen sollen, bin ich besser vorbereitet. Wir malen ein paar Wolken mal mit Regen, mal ohne, mal pustend, eine lächelnde Sonne und der Laden läuft. Als die Kinder dann noch die entsprechenden Wetterlagen zeichnen dürfen, ist das Spiel entschieden.
Nach Ende des Unterrichtes  und meiner traditionellen Ansprache zur katastrophalen Informationspolitik nehme ich den Bus zurück zu meinem Zimmer, von dem ich Sandhya abhole, die sich zumindest den Nachmittagsunterricht nicht entgehen lassen möchte. Wir fahren wieder zurück in den abgelegeneren Distrikt in dem sich das Waisenhaus befindet und treffen auf dem letzten Stück, welches man zu Fuß bewältigen muss auf meine Kollegin aus Deutschland. Wir sind etwas früh dran und essen, während wir auf dem Hof, auf das Eintreffen der lokalen Helfer warten unser Reis-Frühstück, das wir uns vor der Busfahrt einpacken haben lassen. Bevor es mit dem Unterricht dann letztendlich los geht, werden wir von den Kindern noch in ihr Versteck-Spiel integriert.
Meine japanische Kollegin hat sich glücklicherweise akribisch vorbereitet, sodass wir nur ihren Anweisungen folgen müssen. Wir singen mit den Kindern ein typisches Kinderlied, dass es wohl in allen Ländern der Welt gibt. Ein kleines Mädchen schließe ich direkt in mein Herz, das permanent verschämt meine Aufmerksamkeit sucht und an mir hängt. In der Pause sind die Kinder dann vor allem mit unserer Kamera beschäftigt. Sie lassen sich freudig knipsen und ein Mädchen traut sich auch einmal selbst abzudrücken. Die zweite Unterrichtshälfte verbringen wir draußen auf dem Hof. Die Kleinen sollen uns Verben nennen, die wir pantomimisch darzustellen versuchen und im Anschluss spielen wir ein Laufspiel meiner japanischen Kollegin, dass die Kinder im Gegensatz zu mir, der nur planlos umherirrt, zu verstehen scheinen und fröhlich stimmt.  Ein Mädchen ist jedoch den ganzen Tag still und scheint nicht in der Lage zu sein, ihre Gesichtsmuskeln zu einem Lachen zu bewegen. Ich versuche ihr ein solches zu entlocken, habe aber keine Chance und erfahre, dass das wohl immer so sei. Mein vietnamesischer Kollege sagt mir, dass das einfach ihr Gesicht wäre, sie hat kein anderes. Sie scheint wie die Protagonistin einer dieser Hollywoodschnulzen die von einer außergewöhnlichen Freundschaft zwischen einem Erwachsenen und einem, vom Leben gezeichneten, Kind erzählt. Das hier ist allerdings Saigon, nicht Hollywood und ich habe auch keine dieser lebensverändernden Phrasen parat, die ihr, unterlegt mit pathetischer Musik, ihren Schmerz nehmen und Zuversicht geben.
Bevor wir den Heimweg antreten, zeigt mir Sandhya noch den Nähraum, den sie zuvor entdeckt hatte. Die Lehrerin erklärt uns, dass die Kinder von überall hierher kommen um zu lernen, wie sie Geld verdienen können. Mit diesem Wissen arbeiten sie dann später in den Textilfabriken der großen Hersteller und nähen dann vielleicht unsere lächerlich teuren Marken-Klamotten. Ein komisches Gefühl. Doch diese Kinder sind froh und glücklich, dass sie sich und ihren Familien eine Lebensgrundlage schaffen und erhalten können. Und die Textilien, die sie hier nähen, sind wirklich von außergewöhnlicher Qualität. Die ganze Kinderarbeitsdebatte ist eine schwierige und sicherlich nicht mit unseren westlichen Maßstäben zu diskutieren.
Am Abend sitzen wir wieder auf dem Dach des Hotel Rex und lassen uns von der philippinischen Band und der englischen Reisegruppe unterhalten, die, direkt vor der Bühne postiert, sehr zu meiner Freude, keine Peinlichkeit auslässt. Wieder zu Hause wird dann noch schnell gepackt, damit wir morgen unsere Busreise nach Phnom Penh antreten können, die wir noch am Mittag in einem Reisebüro im Backpacker-Distrikt gebucht hatten.

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