Freitag, 23. März 2012

Tag 9


Zweiter Unterrichtstag

Heute Morgen habe ich endlich meinen zweiten Unterrichtstag an einer anderen Schule. Ich und Yoga fahren per Motortaxen, die sich als teurer herausstellten als normale Taxen, zur Schule gar nicht weit von unserem vorübergehenden zu Hause. Die Arbeit hier ist völlig anders, verglichen zum ersten Waisenhaus, indem ich unterrichtete. Die Schule ist nicht an ein Waisenhaus gekoppelt und die "Kinder" sind hier so alt wie ich. Hierher kommen Jugendliche, die kein Geld haben eine Schule zu besuchen sich aber gerne weiterbilden möchten. Dazu lernen sie hier Englisch und PC-Kenntnisse, wobei der PC-Unterricht leider mangels PC´s ausfallen muss. Wir betreten den kleinen Klassenraum, nachdem wir unsere Schuhe ausgezogen haben und werden von der Lehrerin begrüßt, die gerade die Hausaufgaben korrigiert. Hier dienen wir nur der Unterstützung der lokalen Lehrkraft, die für die vietnamesische Organisation arbeitet. Die Klasse besteht nur aus etwa zehn Jugendlichen im Alter von 17 - 23, einem Koch, einer Kassiererin; der Rest wohl arbeitslos. Wir beginnen den Unterricht mit einer Vorstellungsrunde, in deren Anschluss Fragen über unseren Ländern gestellt werden sollen, damit die Schüler etwas Englisch sprechen. Ich schlage vor, dass sich alle ein paar Klischees und Vorurteile überlegen sollen, die sie gegenüber Deutschland und Indonesien haben und wir diese dann bestätigen oder zerschlagen können. So reden sie Englisch und erfahren etwas aus der Welt. Neben den normalen Fragen zu Hitler, der Berliner Mauer und Bayern München (der arme Junge war ganz verschüchtert, als ich ihm sagte, dass ich den FC Bayern hasse) wird mir eine eigentlich banale Frage gestellt, die ich erst nicht verstehe, dann aber äußerst Interessant finde: Welche Jahreszeiten haben wir in Deutschland? (Natürlich auf Englisch) Ich antworte:"Frühling, Sommer, Herbst, Winter. Ganz normal eben." Wer sagt, dass es vier Jahreszeiten geben muss? "Wir haben die Regenzeit und die Trockenzeit", antwortet mir die Schülerin. Ich muss mich wieder etwas schämen. Es gibt nicht normal, es gibt nur anders und das ist für uns oft gar nicht so leicht.
Als ich mittags wieder nach Hause komme, schläft Sandhya noch, die ich gestern Abend vom Flughafen abgeholt hatte und die mich für knapp 2 Wochen besucht.


Abends
 

Am Abend suchen wir etwas zu Essen und ich will ihr auf dem Weg noch ein paar Sehenswürdigkeiten zeigen. Das Hauptpostamt ist glücklicher Weise noch geöffnet und ich kann auch zum ersten Mal einen Blick vom Inneren erhaschen. Die Innenarchitektur erinnert eher an einen Bahnhof , mit den verzierten Schalterhäuschen, den Deckenflutern und den riesigen gezeichneten Wandkarten aus vergangenen Zeiten, die das damalige Saigon und Cholon (heute zusammen Ho Chi Minh Stadt) und Indochina mit kolonialen Grenzen zeigt.
Als wir heraus gehen, um ein paar Bilder vom beleuchteten Äußeren zu machen, werden wir von einem Franzosen angesprochen, der seine Kamera samt Mikro auf einem Stativ vor dem Gebäude positioniert hat. Er und seine Freundin, die neben ihm steht, leben schon seit einiger Zeit hier in Saigon und beginnen heute ihre Arbeit für einen internationalen Reiseführer, für dessen Onlineauftritt wir doch jetzt bitte ein kleines Statement in die Kamera sprechen sollen. Nachdem wir uns gut eine halbe Stunde über Nationalitäten, die Stadt und die Architektur des Mittelalters unterhalten haben, stimme ich zu und spreche ein paar Sätze, die mir eher spontan zufliegen, in die Kamera, in der Hoffnung, dass das alles nie ausgestrahlt wird. Wir unterhalten uns eine weitere halbe Stunde, werden mit einem Exemplar des sehr schicken Reiseführers belohnt und machen uns dann endlich auf die Suche nach einem vegetarischen Restaurant. In einer, mir bekannten, vietnamesischen Restaurantkette vermute ich ein paar vegetarische Gerichte, doch auf die Frage, nach etwas „without fish and meat“ reagiert man hier, wie überall sonst, völlig schockiert und hilflos. Auch mit der Frage nach simplem Reis mit Gemüse kann man absolut nichts anfangen. Was in Deutschland nur ein Problem für Sandhya war, ist nun auch meines, da ich nach getrocknetem Rinderblut, Hühnerfüßen, Fischinnereiensuppe und Schweineinnereienkuchen eine Art Vegetarier auf Teilzeit geworden bin. Ich gebe mich dennoch mit ein paar weniger vegetarischen Frühlingsrollen zufrieden und für Sandhya erbarmt sich die Küche schließlich noch ein bisschen Grünzeug in ein paar Reisblätter zu wickeln. Weil uns das nicht wirklich sättigt schauen wir noch kurz im „Bräuhaus“ vorbei, das beim Versuch deutsch zu sein, jämmerlich versagt, uns aber immerhin mit ein paar Aufbackpommes versorgt.

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