Zweiter Unterrichtstag
Heute Morgen habe ich endlich meinen zweiten Unterrichtstag an einer anderen
Schule. Ich und Yoga fahren per Motortaxen, die sich als teurer herausstellten
als normale Taxen, zur Schule gar nicht weit von unserem vorübergehenden zu
Hause. Die Arbeit hier ist völlig anders, verglichen zum ersten Waisenhaus,
indem ich unterrichtete. Die Schule ist nicht an ein Waisenhaus gekoppelt und
die "Kinder" sind hier so alt wie ich. Hierher kommen Jugendliche,
die kein Geld haben eine Schule zu besuchen sich aber gerne weiterbilden
möchten. Dazu lernen sie hier Englisch und PC-Kenntnisse, wobei der
PC-Unterricht leider mangels PC´s ausfallen muss. Wir betreten den kleinen
Klassenraum, nachdem wir unsere Schuhe ausgezogen haben und werden von der
Lehrerin begrüßt, die gerade die Hausaufgaben korrigiert. Hier dienen wir nur
der Unterstützung der lokalen Lehrkraft, die für die vietnamesische
Organisation arbeitet. Die Klasse besteht nur aus etwa zehn Jugendlichen im
Alter von 17 - 23, einem Koch, einer Kassiererin; der Rest wohl arbeitslos. Wir
beginnen den Unterricht mit einer Vorstellungsrunde, in deren Anschluss Fragen
über unseren Ländern gestellt werden sollen, damit die Schüler etwas Englisch
sprechen. Ich schlage vor, dass sich alle ein paar Klischees und Vorurteile überlegen
sollen, die sie gegenüber Deutschland und Indonesien haben und wir diese dann
bestätigen oder zerschlagen können. So reden sie Englisch und erfahren etwas
aus der Welt. Neben den normalen Fragen zu Hitler, der Berliner Mauer und
Bayern München (der arme Junge war ganz verschüchtert, als ich ihm sagte, dass
ich den FC Bayern hasse) wird mir eine eigentlich banale Frage gestellt, die
ich erst nicht verstehe, dann aber äußerst Interessant finde: Welche
Jahreszeiten haben wir in Deutschland? (Natürlich auf Englisch) Ich
antworte:"Frühling, Sommer, Herbst, Winter. Ganz normal eben." Wer
sagt, dass es vier Jahreszeiten geben muss? "Wir haben die Regenzeit und
die Trockenzeit", antwortet mir die Schülerin. Ich muss mich wieder etwas
schämen. Es gibt nicht normal, es gibt nur anders und das ist für uns oft gar
nicht so leicht.
Als ich mittags wieder nach Hause komme, schläft Sandhya noch, die ich
gestern Abend vom Flughafen abgeholt hatte und die mich für knapp 2 Wochen
besucht.
Abends
Am Abend suchen wir etwas zu Essen und ich will ihr auf dem Weg noch ein paar Sehenswürdigkeiten zeigen. Das Hauptpostamt ist glücklicher Weise noch geöffnet und ich kann auch zum ersten Mal einen Blick vom Inneren erhaschen. Die Innenarchitektur erinnert eher an einen Bahnhof , mit den verzierten Schalterhäuschen, den Deckenflutern und den riesigen gezeichneten Wandkarten aus vergangenen Zeiten, die das damalige Saigon und Cholon (heute zusammen Ho Chi Minh Stadt) und Indochina mit kolonialen Grenzen zeigt.
Als wir heraus gehen, um ein paar Bilder vom
beleuchteten Äußeren zu machen, werden wir von einem Franzosen angesprochen,
der seine Kamera samt Mikro auf einem Stativ vor dem Gebäude positioniert hat.
Er und seine Freundin, die neben ihm steht, leben schon seit einiger Zeit hier
in Saigon und beginnen heute ihre Arbeit für einen internationalen Reiseführer,
für dessen Onlineauftritt wir doch jetzt bitte ein kleines Statement in die
Kamera sprechen sollen. Nachdem wir uns gut eine halbe Stunde über Nationalitäten,
die Stadt und die Architektur des Mittelalters unterhalten haben, stimme ich zu
und spreche ein paar Sätze, die mir eher spontan zufliegen, in die Kamera, in
der Hoffnung, dass das alles nie ausgestrahlt wird. Wir unterhalten uns eine
weitere halbe Stunde, werden mit einem Exemplar des sehr schicken Reiseführers
belohnt und machen uns dann endlich auf die Suche nach einem vegetarischen
Restaurant. In einer, mir bekannten, vietnamesischen Restaurantkette vermute
ich ein paar vegetarische Gerichte, doch auf die Frage, nach etwas „without
fish and meat“ reagiert man hier, wie überall sonst, völlig schockiert und
hilflos. Auch mit der Frage nach simplem Reis mit Gemüse kann man absolut
nichts anfangen. Was in Deutschland nur ein Problem für Sandhya war, ist nun
auch meines, da ich nach getrocknetem Rinderblut, Hühnerfüßen,
Fischinnereiensuppe und Schweineinnereienkuchen eine Art Vegetarier auf
Teilzeit geworden bin. Ich gebe mich dennoch mit ein paar weniger vegetarischen
Frühlingsrollen zufrieden und für Sandhya erbarmt sich die Küche schließlich
noch ein bisschen Grünzeug in ein paar Reisblätter zu wickeln. Weil uns das
nicht wirklich sättigt schauen wir noch kurz im „Bräuhaus“ vorbei, das beim
Versuch deutsch zu sein, jämmerlich versagt, uns aber immerhin mit ein paar
Aufbackpommes versorgt.
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