Sonntag, 11. März 2012

Tag 4 - erster Unterricht....

....Endlich

Heute darf ich endlich etwas tun. Mit meinem geliehenen Helm suche ich die Bushalte an der ich die Linie 19 Richtung Universität nehme. Eingestiegen wird in den fahrenden Bus, gehalten wird nicht. Ich setze mich hinter den Busfahrer und bezahle beim Kontrolleur 4000 Dong (etwa 15 Cent). Der Busfahrer hat sich seinen Arbeitsplatz mit einem Buddhistischen Schrein verschönert. Ich zeige ihm einen Papierfetzen, auf den ich die Adresse geschrieben habe, wenn ich irgendetwas sage, versteht es sowieso keiner. In einem Restaurant ist es gut zu wissen, dass „ga“ Hühnchen heißt. Je nach Betonung hat dieses „ga“ jedoch 8 Bedeutungen, und ich möchte in einem Restaurant höchstens ein Huhn, aber weder einer „Ehe mit seiner/ihrer Tochter einwilligen“, noch den Kellner „verführen“ (tatsächlich zwei weitere Varianten von „ga“). Ich verlasse mich also auf meine Gestik. Klappt zwar auch nicht, aber ich muss mich nicht auch noch um eine Hochzeit kümmern, die mir hier übrigens besonders aufwendig erscheinen.
An der Universität angekommen, suche ich vergeblich denjenigen der mich zum Waisenhaus bringen soll. Ich setze mich zwischen den hunderten vietnamesischen Studenten auf die viel zu kleinen Bänkchen unter deren Tischen meine Beine keinen Platz finden und warte. Nach zwanzig Minuten höre ich dann endlich das Hupen seines Rollers. Ich springe auf und es geht los. Ich ärgere mich immer, dass ich vom Roller aus keine Fotos machen kann. Der Blickwinkel ist einmalig, aber ich brauche eigentlich sowieso mehr als zwei Hände, um mich festzuhalten. Es ist beeindruckend, mit welcher Sicherheit diese Menschen auf den Rollern unterwegs sind. Es scheint oft, als würden sie mit diesen verschmelzen. An uns vorbei rasen zwei Männer; zwischen ihnen eine riesige Glasscheibe. In den Stummfilmen der 20er ein Gag, hier Alltag. Am Straßenrand liegen die Vietnamesen auf ihren Rollern und schlafen; ein Kunststück.
Wir überqueren den Saigon River und entfernen uns immer weiter aus der Kernstadt. Wir fahren ein ganzes Stück an diesem breiten Fluss entlang, der eine große Faszination auf mich ausübt. Am anderen Ufer liegt in der Ferne der boomende Kern des Distrikt 1. Moderne Wolkenkratzer, luxuriöse Hotels, schillernde Bürogebäude und viele Kräne die mehr versprechen.
Wir verlassen die Straße und fahren in einer engen Gasse ohne Straßenbelag weiter. Bald stoppen wir vor einem Gittertor. „Here we are!“. Ich bedanke mich für die Fahrt und werde der Heimleiterin mit ein paar kurzen Worten vorgestellt. Auf dem Hof spielen ein paar Kinder im Staub der Großstadt. Ich werde ins Haus und dann eine Treppe hinauf geführt. Im Treppenhaus sind ein paar Waschbecken, an denen sich einige Kinder waschen und eine kleine Toilette unter der Treppe im Dunkeln. Ich betrete den Klassenraum im ersten Stock, in dem der Unterricht bereits gestartet hat, da wir etwas spät waren. Die Kinder jubeln kurz, als sie mich sehen; ich setze mich in die letzte Reihe; es ist wieder ruhig. Meine Kolleginnen aus Deutschland und Japan malen Kleidungsstücke an die Tafel und schreiben die entsprechenden Wörter dazu. Manche Kinder machen begeistert mit und hüpfen auf den Tischen, andere sitzen apathisch an ihren Plätzen und kritzeln bestenfalls ein wenig abwesend. Es ist sehr schwierig mit den Kleinen umzugehen. Die einen bleiben nicht sitzen springen und schreien wild umher, die anderen sind ganz woanders. Ich unterhalte mich mit dem AIESECer der mich hergefahren (er ist der Projektleiter des Unterrichtsstoffes, den wir jedoch weitgehend selbst erstellen sollen) hat über die Bedingungen und die Schicksale der Kinder. Morgens unterrichten wir etwa 40 Kinder. Mittags ist der Unterricht freiwillig, es sind etwa 20 Kinder im Klassenraum, davon ein Junge. Kinder sind überall gleich. Von den 40-50 Kindern die sich hier täglich aufhalten, schlafen nur 20 hier, sie sind Waisen. Die anderen sind Kinder von verurteilten Drogenhändlern, die der Strick bald zu Waisen machen wird. Zur Vertiefung der erlernten Vokabel spielen meine Kolleginnen mit den Kindern „Galgenmännchen“. Ich verbiete mir nicht, in dieser Tragik eine gewisse Komik zu finden. Ich heuchle keine Betroffenheit. Die Szenerie ist zu unwirklich.
Nach etwa einer Stunde und einer Pause, die nach dem Läuten der Glocke frenetisch gefeiert wird, darf ich ins Geschehen eingreifen. Durch ein Puzzle in Form eines Gesichts, welches wir natürlich vorher basteln, sollen die Kinder die Gesichtsorgane und die englischen Begriffe für verschiedene Ausdrücke kennenlernen. Ein traditionelles japanisches Spiel. Die Kinder müssen das Gesicht mit verbundenen Augen zusammenpuzzlen und sagen, welche Empfindung es hat. In diesem Fall „happy“ oder „sad“. „Nachdenklich“ konnte ich nicht basteln.
Zum Abschluss sollen wir den Kindern etwas über Deutschland erzählen, was über Bilder geschieht, da sie eben kein Englisch verstehen. Unsere vietnamesischen Kollegen sind aber bemüht zu übersetzen. Ein Bild von Phillip Rösler und dem verbundenen Schicksal, kann sie nicht begeistern, dafür natürlich ein Portrait unserer Nationalmannschaft. Als ich gefragt werde, ob ich Manuel Neuer sei, muss ich die Kinder enttäuschen und das Raunen verstummt.
Mein erster Tag ist vorbei, wir fahren zurück ins Zentrum und suchen uns ein Touri-Restaurant im Backpacker-Distrikt. Ich bin bereit mich für ein normales Essen über den Tisch ziehen zu lassen. Ich kann kein trockenes Blut mehr sehen. Meine Gnocchi schwimmen zwar ganz ähnlich in der Instant-Gorgonzolasoße, ich esse sie jedoch ohne jeglichen Drang mich zu übergeben. Zwei meiner vietnamesischen Kolleginnen haben uns etwas seltsames von einem der vielen Straßenständen mitgebracht, dass sich als weiße Bohnen in Kokoscream entpuppt und nach dem vierten Löffel richtig gut schmeckt. An den Nebentischen tun mir die zahlreichen älteren Europäer Leid, die gerade im Begriff sind, sich von einigen jungen Vietnamesinnen sowohl monetär als auch - nicht zu Letzt - emotional ausbeuten zu lassen. Ich steige in den Bus und fahre nach Hause.

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