Freitag, 9. März 2012

Tag 3

Dahinvegetieren

Meine innere Uhr ist immer noch Deutsch. Ich schlafe von 5 Uhr bis 11 Uhr morgens und wache nur auf, weil es an meiner Tür klopft und ich die Stimme meiner Vermieterin höre. Ich gehe zur Tür und öffne sie einen Spalt. Sie drückt sie auf, zeigt auf meine Badtür und sagt: „check, one minute“. Ich kauere hinter der Tür, da ich nahezu unbekleidet bin. Mit meiner Warnung:“I am nacked“ konnte sie unmittelbar vor dem Öffnen der Tür nichts anfangen. Ich nutze einen günstigen Moment und husche unter die Bettdecke. Sie geht wieder; ich schlafe wieder ein; habe keine Termine, keine Aufgaben, keine Ahnung. Um zwei Uhr das gleiche Spiel: Ich werde wach vom Klopfen an der Tür. Ich sollte es jetzt besser wissen, öffne dennoch die Tür. Wieder kauere ich hinter der Tür, diesmal sind sie aber zu dritt. „One minute“ Okay, was auch immer. Ich ziehe mir schnell eine Hose an und gehe zurück ins Bett. Als sie weg sind, steht ein Hocker vor meiner Toilette und der Boden ist nass. Ich erkenne, dass sie das undichte Duschrohr repariert haben. Schade. Das stetige Tropfen und das 4-stündliche Leeren des darunter befindlichen Plastikbechers ergab zusammen mit dem Surren der Klimaanlage und dem Klappern des Ventilators eine meditative Athmosphere.
Ich entscheide mich aufzustehen. Gleich sollte ich mein erstes Treffen bezüglich meiner Tätigkeit haben. Endlich werde ich erfahren, was ich überhaupt machen soll und wo ich morgen um 14 Uhr stehen soll. Nach drei Tagen dahinvegetieren kann ich es kaum erwarten. Das Treffen fällt aus.
Ich erfahre es von meinem indonesischen Kollegen, keine Mail, kein Nichts.
Ich habe also einen freien Tag. Gewollt habe ich ihn nicht.


Besorgungen

Bei "Lotteria" ist Essen kein Glücksspiel
Bevor ich den Wechsel der Tageszeiten nur noch an meinem Handgelenk erahnen kann, entscheide ich mich einfach rauszugehen. Ich habe nichts Spezielles vor. Das finde ich immerhin. Ich laufe einfach die lange Hauptstraße entlang. Ich merke wie meine Lungenflügel die Wandfarbe ändern. Jeder Atemzug ist unangenehm, ich fliehe in eine Seitenstraße und finde eine große Halle, die „Arsenal Football School“. Sicherlich. Im Erdgeschoss befindet sich ein Fitnessstudio. Danach habe ich die ganze Zeit gesucht. Es ist offen und vor dem Treppenabsatz stehen 50 Paar FlipFlops. Schuhe müssen draußen bleiben, egal wo, dass brachte mir meine Vermieterin auch ohne Englisch gleich bei. Der Boden ist mit Schweiß benetzt, die Geräte rustikal aber anscheinend effektiv. Hinter der Halle ist ein Exerzierplatz für Kampfsportler. Ich weiß nicht um welchen Stil es sich handelt, aber sie haben blaue Bademäntel und schreien unaufhörlich. Ich möchte die Hauptstraße überqueren, doch fehlt mir etwas der Mut. Als ich es endlich schaffe flüchte ich in die „Lotterie“, den Fastfood-Laden von gestern Abend; ich esse das Gleiche, wie gestern Abend. In der Fremde wird man spießig.
Ich gehe in einen kleinen Supermarkt um ein paar Besorgungen zu machen und mir die Zeit zu vertreiben. Ich finde mich überhaupt nicht zurecht und kann natürlich auch nichts lesen. Zwar gibt es hier viele bekannte Marken aber die Beschreibung ist es nicht. Beim erforschen des Ladens entdecke ich auch einige deutsche Produkte, denen man nicht unbedingt das Zeug zum Exportschlager zugetraut hätte. So muss ich beispielsweise erschrocken feststellen, dass Oettinger als einziges deutsches Bier neben Bitburger den Weg in die Regale gefunden hat. Außerdem findet man hier Lorenz Snacks ebenso wie Leibnitz Kekse. Alle Saftverpackungen sind Tetrapacks. Ich möchte einige Putzmittel organisieren, um mein Zimmer einmal grundzureinigen, da mich vor allem die Toilette mehr an meinen Vormieter erinnert, als mir lieb ist. Die Putzabteilung wird regiert von „Mister Muscle“ dem vietnamesischen Pendant zu Meister Proper. Obwohl Mr. Muscle mit seinem orangen Superheldenoverall und der passenden Brille kompetent wirkt, entscheide ich mich für ein billigeres Produkt. Begleitet wird mein Einkauf von einer Endlosschleife „The Sound of Silence“ von Simon & Garfunkel.


Essen und Ähnliches

Essen und Ölwechsel an einem Ort
Abends begleite ich Yoga zum Essen. Er strebt stehts zielsicher auf die übelst aussehende "Lokalität" zu. Die Küche ist eine Garage mit einer Ansammlung von Blecheimern und Schläuchen. Hier wird das Essen zubereitet. Ich frage mich, ob man dort einen sauberen Ölwechsel durchführen könnte. Die Karte ist groß und mit englischer Übersetzung. Ich wähle aus 80 Gerichten das einzig vegetarische: "Glassnudel Soup". Trotz der englischen Karte spricht hier auch keiner Englisch und wir leider auch kein Vietnamesisch. Die Angestellten hassen uns. Vielleicht auch weil mein Kollege etwas herrisch gestikuliert und sichtlich genervt ist. So ist es aber in fast jedem Lokal in unserem Viertel. Ich bin absolut nicht willkommen. Ich bin ein Fremder. Das ist sicherlich anders in den touristischen Gebieten, aber das hier ist "real Saigon". Ich lächle ständig, bedanke mich, doch ich bin der Einzige im "Land des Lächelns". Während ich mich unwohlfühle, liefere ich mir ein Starrduell mit einigen der Eidechsen und Kakerlaken die uns Gesellschaft leisten. Sie scheinen sich an meiner Gegenward nicht zu stören. Ich bekomme meine Suppe. Die ist aber natürlich alles andere als vegetarisch. Als erstes sortiere ich wieder den großen Blutbatzen aus, der hier allerdings nicht rot ist, sondern eher ins bräunliche geht. Erfrischend anders. Das zerfetzte Huhn kann ich nicht aussortieren. Es scheint als sei es einfach in einem Stück geschräddert worden. Ich gebe auf und esse die blutigen Fetzen zusammen mit den Glasnudeln und der Blutbrühe. Zum Glück ist es unhöflich aufzuessen, sodass ich eine halbe Suppe Höflichkeit stehen lasse. Zur Suppe bestelle ich mir ein "Saigon Bier", welches mir mit einem Glas voll Eiswürfel serviert wird. Die Eiswürfel sind seltsam schwarz und ohne dass ich etwas sagen konnte, nimmt mir ein anderer Kellner das Glas weg und bringt mir ein neues sauberes. Ich mache mir so meine Gedanken. Ich vertraue zwar keinen Eiswürfeln hier, aber 30°C warmem Bier noch weniger. Das Bier ist gut, aber schnell wässrig.
Ich bezahle etwa 1,30 € und wir beschließen und einmal den anderen "Ausländern" in unserer Straße anzuschließen. Ich nehme mir ein "Tiger Bier" aus dem Kühlschrank und hole uns zwei Kinderplastikstühle vom Stapel. Neben uns sitzt eine Gruppe Briten, die wohl hier arbeitet. Die sind aber weniger am Kontakt mit uns interessiert, sondern diskutieren über die Qualität verschiedener Huren. Der Besitzer des Hauses sitzt in der Mitte, redet mal hier mal dort mit. Er kann etwas Englisch, lächelt unentwegt und macht ein paar Späße mit mir. Ich fühle mich etwas wohl.    

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