Dienstag, 13. März 2012

Tag 6

Mehr Meeting als Arbeit

Erstes Projektmeeting um 2 Uhr mittags. Wir sollen erste Eindrücke teilen, Probleme ansprechen und Ideen einbringen. Ich und Yoga fahren mit dem Bus zur Universität, von wo aus wir zu dem uns genannten Teehaus laufen. Wieder ist es ein typisch unauffälliger Laden, der eher an ein Wohnzimmer erinnert. Vor der Tür stehen jedoch etliche Schuhe und einige Vietnamesen sitzen auf einer kleinen Erhöhung auf dem Boden, ihre Getränke an kleinen Tischen genießend. Wir suchen im ersten Stock nach unseren Kollegen und werden in einem Raum fündig, vor dem wir ebenfalls unsere Schuhe ausziehen und uns zu ihnen auf den Boden begeben. Obwohl im relativ kleinen Raum noch einige andere Studenten sitzen, gibt er mir ein gemütliches, heimisches Gefühl. Bevor ich feststelle, dass ich aus der Karte nicht schlau werde und meine Kollegin wählen lasse, bekomme ich schoneinmal ungefragt einen kalten, grünen Tee gereicht, der aber diesmal etwas nach Kokos und erstaunlich gut schmeckt. Genauso "meine" Bestellung; eine Art Shake mit Kiwi und Lychee. Wir beginnen das Gespräch und jeder der Praktikanten beginnt über seine Erfahrungen und aufkommende Probleme zu reden; wie zum Beispiel das Desinteresse vieler Kinder und die chaotische Organisation. Die vietnamesischen Kolleginnen sind erst, wie ich erwartete, sehr zurückhaltent und haben offensichtlich keine Probleme mit nichts und niemandem. Als wir alle etwas wärmer miteinander geworden sind, hören sie allerdings nicht mehr auf, über alles und jeden zu klagen und geben zu, dass sowohl das Team unerfahren, als auch das Projekt schlecht organisiert ist und äußern die Vermutung, dass keiner eigentlich so wirklich weiß, welche Ziele es zu erreichen gilt. Ich bin weniger über deren Denkweisen, die sich mit meiner decken, überrascht, jedoch umso mehr, dass sie ihre Meinung auch so offen äußern. Wir verbleiben beim Gesagten und vereinbaren nocheinmal alles, samt Verbesserungsvorschlägen, als Mail an die anderen Mitglieder zu senden. Ich bin begeistert über die offenen Worte und denke schon darüber nach, meinen asiatischen Stereotypen zu verwerfen.
Einige Mails und Stunden später sehe ich jedoch eine Protest- und Empörungswelle auf uns niederbrechen. Meine vietnamesischen Kolleginnen werden als Judas denunziert und jegliche Probleme werden einfach negiert. Der Tenor ist, dass wir mit unserer negativen Einstellung das Projekt zum Scheitern verurteilen würden. Man ist hier offensichtlich nicht froh über Anregungen, sondern verharrt lieber bei Altem, was in diesem Fall heißt, dass wir die Kinder mit unserer Anwesenheit einfach nur nerven, da diese mangels Lehrplan und Protokollen wahrscheinlich zum zehnten Mal Zahlen und Tiere gelehrt werden. Die Unaufmerksamkeit sei darin begründet, dass die Kinder eben einfach "nasty" und wir Praktikanten eben einfach nicht an den Kindern interessiert seien. Aber sicherlich nicht darin, dass die Kinder seit Start des Projektes vor 2 Jahren vierzig verschiedene Gesichter sehen, die, einer nach dem anderen, Obst an die Tafel malen. Die Kinder sprechen immernoch kein Wort Englisch, was selbst dem größten "Gesichtsbewahrer" Anlass zum Grübeln geben sollte.



Saigon Noir, oder so

Am Abend mache ich mich alleine auf ins saigoner Nachtleben, da es die hiesigen Studenten nicht so mit der Freizeit haben, ich aber auch nicht zwei Monate in meinem Zimmer verbringen möchte. Ich schlendere ein bisschen durch die Straßen. "Ich lasse mich treiben" wäre wohl zu viel gesagt. Ich möchte mir einmal die Dachterrasse des berüchtigten Rex Hotels anschauen, indem zu Kriegszeiten sowohl amerikanische Soldaten, als auch Journalisten untergebracht waren. Zudem kann dort die Live-Musik über fehlende Konversationen hinwegtrösten. Das Innere des Hotels ist sehr schick und auch die Dachterrasse hält auf den ersten Blick was sie versprach. Ich bestelle mir einen John Collins*, der hier für vietnamesische Verhältnisse lächerlich teuer ist und auch mir in der Tasche brennt, obwohl man in jeder deutschen Bar das gleiche zahlt. Entschädigt werde ich jedoch durch einen Platz am Geländer, der mir einen schönen Blick auf den quirligen Verkehr gewährt, sowie die Band, die mich nach einem gelungenen Louis Armstrong und Tina Turner Cover bereits erobert hat. Nachdem dann noch der zugehörige Trauzeuge einer hier feiernden Hochzeitsgesellschaft ein Ständchen samt Gitarrensolo bringt, ist das Unterhaltungsprogramm gelaufen und mein Abend auch. Meine ersehnte Konversation habe ich dann wieder mit einem Vietnamesen, der mir auf dem Heimweg irgendetwas anzubieten scheint, dass ich nicht verstehe. Ich weiß, dass meine Antwort "No" ist, er denkt, dass ihn das nicht zu interessieren braucht und so habe ich wenigstens für die nächsten hundert Meter einen Weggefährten.

*hier ein Scotch mit Soda, Zitronensaft und Zuckersirup    

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