Mittwoch, 4. April 2012

Tag 13 Kambodscha (Sihanoukville)



In der Nacht endecke ich noch ein paar interessante Informationen bezüglich des korrekten Verhaltens während des Hotelaufenthalts, die ich einem Schild neben dem Bett entnehme. Die wichtigsten Regeln habe ich einmal mit Pfeilen versehen (anklicken zum Vergrößern): 




Im Bus nach Sihanoukville


Unser Bus nach Sihanoukville führt uns wieder auf einer holprigen Straße an unzähligen Hütten vorbei in Richtung Küste. Irgendwann schaltet ein Mitarbeiter der Busgesellschaft den Bildschirm im vorderen Teil des Busses ein und wir werden den Rest der Fahrt von kambodschanischen Pop-Schnulzen unterhalten, die mit Untertitel zum Mitsingen einladen. Die dazugehörigen Musikvideos bieten leider eher wenig Abwechslung und laufen zu 90% genau folgendermaßen ab: Eine junge Frau arbeitet auf einem Feld/ in einer Küche/ in einem Kindergarten. Sie macht uns mimisch unmissverständlich deutlich, dass sie unglücklich mit ihrer Gesamtsituation ist. Dann sieht man plötzlich Füße und die Kamera bewegt sich langsam hoch, bis man einen jungen Mann sieht, der lässig auf den Ort des Geschehens zu geht. Wichtig zu erwähnen ist, dass sich jedes, wirklich jedes Video in Zeitlupe abspielt. Die Frau ist beim Anblick des Mannes, der in Slow-Motion lässig um die Ecke kommt, völlig hin und weg und überglücklich. Sie rennen – natürlich in Zeitlupe aufeinander zu und reichen sich im großen Finale die Händchen. Die Zeitlupe erlaubt es, die Story recht bündig zu halten. In den anderen 10% der Videos bewegt ein süd-ost-asiatischer Florian Silbereisen seine Lippen und sich selbst völlig unbeholfen zum Takt der Musik.
Als uns der Busfahrer eine Pause von diesen kaum zu unterschätzenden künstlerischen Darbietungen gewährt und uns vor einem Touri-Restaurant absetzt scharen sich sofort einige Mönche um uns und halten ihre Beutel vor. Bettelmönche. In Reisesendungen eine romantische Sache, und auch ich war Zeit meines Lebens stets fasziniert und angetan von diesen buddhistischen Mönchen. Nüchtern betrachtet und die Religion der Menschen hier einmal außen vor gelassen ist das ganze allerdings grenzwertig. Sobald unser Bus hält, strömen die Mönche in Scharen und nehmen Wertgegenstände in jeglicher Form gegen eine kleine Segnung gerne entgegen. Das Mönchsdarsein ist hier eine Art Sozialsystem, in dem es die Armen von den Ärmsten nehmen. Abgemagerte Kambodschaner geben ihren letzten Löffel Reis im Glauben ihrer Seele etwas Gutes zu tun. Die Mönche in den Klöstern führen, abgesehen von der eingeschränkten Freiheit, ein sicheres Leben. In Phnom Penh berichtet man uns auf die Frage, ob sie auch außerhalb des Klosters äßen, dass sie öfter eingeladen werden. Sie dürfen selbst kein Geld besitzen, lassen dafür aber einfach ihre Studenten Eiscreme oder Pizza unentgeltlich herbeischaffen. Sicherlich gibt es auch diese noblen Mönche aus den Erzählungen, aber ich habe jetzt leider auch ein ganz anderes Bild.


Sihanoukville, nah am Wasser gebaut

Vom Busbahnhof in Sihanoukville werden wir mit einem leider viel zu teuren Tuk-Tuk ins Stadtzentrum gefahren. Ein sehr beschaulicher, und ruhiger Ort. Kein Dreck keine Menschenmassen keine engen Gassen. Ein Gasthaus reiht sich ans andere; die meisten im Besitz von Briten, die hier wohl irgendwann gestrandet sind, als sie, wie die vielen anderen hier mit dem Rucksack die Welt erkunden wollten. In einer Bar, die wir aus dem Internet kannten, trinken wir Shakes für einen Dollar und wollen nach einer Bleibe für heute Nacht fragen. Um uns ausschließlich Briten und Australier, 20-30 Jahre alt. Manche sind schon seit Monaten unterwegs und haben Länder gesehen, die die meisten von uns nicht einmal kennen. Mann trägt hier Bart. Einen richtigen. Quasi das Must-Have, das Erkennungszeichen, dass man es ernst meint mit dem Rucksack. Alle Zimmer sind belegt. Im nächsten Hostel auch, genauso wie im nächsten und übernächsten. 

Schließlich finden wir eine äußerst gemütliche Bleibe an der Ecke der Straße, die danach abknickt um nach unten Richtung Strand zu führen. In der großen Hütte aus Holz und getrockneten Palmenwedeln probt eine Band von Auswanderern, dahinter befindet sich ein ruhiger Platz von dem aus, die wenigen Bungalows zu erreichen sind. Erst möchte man uns für 4$ die Nacht in eine 8 Personen-Hütte stecken, wir bezahlen aber gerne ein paar Dollar mehr und haben unsere eigenen vier Holzwände aus Stöcken, die die Sicht nach draußen nicht ganz verwehren. Ein Dach gedeckt mit Palmenwedeln sitzt locker auf. Zu den Seiten hin ist es offen. Im Inneren steht genau ein Bett mit Moskitonetz, die Dusche ist natürlich kalt. Nichts für Komfort-Liebende, aber für uns genau richtig. Die Verfügbarkeit warmen Wassers hätte mich sogar enttäuscht, auch wenn ich immer einige Zeit brauche, bis ich mich morgens in die Kälte wage.




Otres Beach

Nachmittags wollen wir uns am Strand mit zwei der Mädchen treffen, die wir am Tag davor im Restaurant kennengelernt hatten und die heute ebenfalls einen Ausflug unternehmen. Bei der Gelegenheit treffen wir auf den ersten ehrlichen Tuk-Tuk-Fahrer, den wir abseits des Zentrums antreffen. Er könne uns für $5 direkt an den Strand fahren oder für $3 ganz in die Nähe, von woaus wir nur noch einige Meter laufen müssten. Wir entscheiden uns für die kurze Variante und als wir aussteigen, gibt er uns noch den Tipp nach Anbruch der Dunkelheit auf die lange Route zu verzichten, da dort um Waldstück des Öfteren Touristen ausgenommen würden. Wir geben ihm ein kleines Trinkgeld über das er sich freut wie Weihnachten. Bei den Preisen hier geht es ums Prinzip und diejenigen die trotz Armut ehrlich bleiben, verdienen Respekt und ein paar Cent extra. Als wir endlich am Strand sind, sind die Mädels schon weg. Sie sind nach der Arbeit um 2 Uhr morgens losgefahren und mussten früh wieder zurück, da sie nicht frei haben und Schlaf brauchen.
Der Strand liegt abseits der anderen Strände und ist wirklich schön und natürlich. Das Wasser ist türkis und hat Badewannentemperatur. Wir legen uns auf eine der zahlreichen Liegen vor den netten, gemütlichen Strandbars und bestellen die nächsten köstlichen Fruchtshakes, deren Kosten sich natürlich wieder im Eurocent-Bereich aufhalten. Der Strand ist ein Geheimtipp und wirklich ein ruhiger, von Touristen verschonter Ort mit feinem weißen Sand.
Unser Weg zurück ins Dorf, führt uns an einer Siedlung vorbei, in dem die Einheimischen leben. Hier sehen wir jetzt wirklich die Hütten, die man in den Werbespots der Welthungerhilfe und Co. zu sehen bekommt. Sechs Quadratmeter aus Holz, der Boden mit Fellen ausgelegt, ein Mensch ein Quadratmeter. Trotzdem sehen die Menschen zufrieden aus, wie sie an der Straße Fische und Fleisch bearbeiten, Wäsche waschen, oder die Kuhherden antreiben. Zum unglücklich sein sind sie wohl auch einfach zu arm. Was soll ihnen zu ihrem Glück fehlen? Einmal genug zu Essen? Den kleinen Jungen, der am Wegesrand eine Route und die Verantwortung über eine Herde Kühe trägt, wird das fehlen eines IPhones jedenfalls nicht ins Tal der Tränen führen. Keine Schulkameraden die ihn mit der neusten Mode herausfordern. Wir fahren auf unserem erhöhten, überdachten Tuk-Tuk, wie durch einen Themenpark. Ich traue mich gar nicht in die Armut zu schauen, mit meiner Kamera um den Hals.


Am Abend

Zurück im Dorf finden wir unser Abendessen, ein Haus weiter, im einzigen einheimisch geführten „Restaurant“ der Straße. Das Hauptgericht sowie ein Fruchtshake kosten uns hier je einen Dollar. Als wir draußen auf unser Essen warten kommt ein Mann in alter, amerikanischer Militäruniform mit einem kleinen Jungen an der Hand an einen Nachbartisch und bettelt. Ein Stock unterstützt sein verkümmertes Bein auf der rechten Seite. Er sowie der Junge sehen erschöpft aus. Wir bestellen den Beiden eine große Portion Reis und kaufen eine große Flasche Wasser im gegenüberliegenden Supermarkt. Unsere Bitte, sich zu uns zu setzten, scheint er aber nicht annehmen zu können und wartet auf der Straße sitzend auf sein Essen. Sein Kind hält er liebevoll in den Armen und streichelt ihm über den Kopf. Als er sein Essen vom Kellner in Empfang nimmt, verbeugt er sich so tief er kann und zieht glücklich weiter. Wir geben Bettlern ausnahmslos kein Geld, da es in 90% bei Banden landet, aber wenn zwei ausgehungerte Menschen auf der Straße sitzen, während wir uns im Urlaub die Speiseröhre versiegeln, sollte man diese Menschen zumindest für einen Abend satt machen. Anders hätte ich auch zugegebenermaßen keinen Appetit entwickelt. Eine Win-Win-Situation.
Wir schlendern die Straße hinab ans Meer und laufen dort die ganzen schönen Strandbars ab, die sich unmittelbar am Meer befinden. Keine Straßen, kein Lärm, keine Menschen. Die Bars sind völlig verlassen und für $12 die Nacht gibt es einen Holzbungalow mit Meerblick. Wir setzen uns auf den Kai und beobachten die Jugendlichen, die mit brennenden Holzfackeln und Ketten irre, akrobatische Kunststücke vorführen. Auf dem Rückweg zum Bungalow lassen wir uns noch spontan für $4 eine halbe Stunde lang die Füße in einem sehr gemütlichen kleinen Spa massieren. Danach sahen meine Füße, die in der Hitze zu undefinierbaren Klumpen angeschwollen waren, schon gleich etwas besser aus.

Montag, 2. April 2012

Tag 12 Kambodscha (Phnom Penh)


 
Im Bus nach Kambodscha
Der Bus nach Phnom Penh sieht recht komfortabel aus, es gibt Wasser und etwas Gebäck. Wir brauchen einige Zeit, um der 8-Millionen-Stadt zu entrinnen und im geografischen Nirgendwo Richtung kambodschanische Grenzstation zu steuern. Die Angestellten der Busgesellschaft haben vorher unsere Pässe eingesammelt und die Visa-Angelegenheiten für uns geklärt. Das Visum kostet 20$ und ist problemlos an der Grenze zu haben. Die Kontrolleure rufen unsere Namen auf, es werden Fingerabdrücke genommen und ein schickes Foto geschossen. 
Dann geht es durch eine Tür an der „Quarantäne“ geschrieben steht. Ein Mann mit Mundschutz sagt etwas zu mir, dass sich wie „hair check“ anhört (wohl aber Health-Check meint) und ich hoffe, dass mein Drei-Tage-Bart den kambodschanischen Einreisebestimmungen genüge tut. Er hält mir einen Laserpointer an die Backe und auf einem Display erscheint eine Zahl, die dem Beamten offenbar gefällt, sodass ich passieren darf; schön wenn man gesund ist. Ich frage mich, ob sie hier in der Medizin Lichtjahre voraus sind, oder, ob sie mich veräppeln wollen. 
Wir steigen wieder in den Bus und fahren unmittelbar hinter der Grenze an einigen riesigen Casino-Hotels vorbei, die in karger Landschaft völlig alleine stehen. Ohne es wissen zu müssen, kann man wohl davon ausgehen, dass Glücksspiel für Vietnamesen nicht zu den legalen Vergnügungen gehört. Weiter geht es auf einer einigermaßen asphaltierten Landstraße durch eine unwirkliche Landschaft aus Staub, Dreck und vereinzelten Palmen. Bald sehen wir die ersten Hütten und Farmen am Straßenrand, die sich die restlichen 3 Stunden bis nach Phnom Penh in dieser Weise fortführen. Die Holzhütten sind meist auf Stelzen gebaut, um in der Regenzeit vor den Fluten des, noch kleinen, Flusses zu schützen, der den Siedlungen entlang der Straße als Lebensader dient. Kühe und Rinder laufen auf der Straße, 50 Leute fahren mit einem Pick-up, der zu einem rollenden Käfig umfunktioniert wurde und die seltsamsten, selbstgebauten Fahrzeuge sind zu bestaunen. Das beeindruckendste sind jedoch die prächtigen, goldenen Pagoden die völlig selbstverständlich die Landschaft zwischen den ärmlichen Hütten aus Holz und Blech füllen.




Phnom Penh

Als der Bus in der Hauptstadt Phnom Penh anhält und uns ausspuckt in die Undurchsichtigkeit des Großstadt-Molochs, werden wir sofort von einem Tuk-Tuk-Fahrer in Empfang genommen. Wir wollen nicht überrumpelt werden und gehen erst mal ein Stückchen weiter, um uns dann doch für $2 durch die Stadt fahren zu lassen, um ein Hostel zu finden, dass uns die Nacht über beherbergen möchte. Nach einigen Fehlversuchen finden wir dann schließlich ein kleines Zimmer, dass uns nach etwas Handeln $12 kostet. Das Zimmer hat zwar kein Fenster, dafür aber reichlich Schimmel an der Decke. Wir sind an unserem ersten Tag noch fit und sehen das Zimmer als Chance "landestypisch" zu nächtigen.
Phnom Penh ist eine von den Franzosen gestaltete Stadt, die allerdings nichts Koloniales mehr hat und je nachdem wo man ist, eher wie ein großes Slam scheint. Am Rande der Stadt fließt der Tonle Sap Fluss in den gewaltigen Mekong. Der Uferpromenade merkt man die Armut des Landes nicht an, sie präsentiert sich hell gepflastert mit Palmen und gepflegten Beeten wie eine Flaniermeile in Südfrankreich oder Kalifornien. Eine Gruppe von Menschen macht Fitnessübungen zum Takt der Diskomusik, die aus dem Ghetto-Blaster dröhnt und Kinder spielen mit allem was sie so finden. Auf der anderen Straßenseite befindet sich eine große prachtvolle Pagode umgeben von einigen anderen Tempeln eingeschlossen von einer großen Mauer, die der Tempelanlage das Erscheinungsbild einer kleinen Stadt in der Stadt gibt. Wir wagen uns nicht so richtig auf den Hof, da wir außer uns keine Touristen erkenne können. die Mönche lächeln aber freundlich und bitten uns die vielen Stufen hinauf zum Haupttempel, während andere in einer Hollywoodschaukel sitzen und Tee schlürfen. Ein relativ junger Mönch gewährt uns einen Einblick in den Gebetsraum und ist sichtlich froh darüber, sein erlerntes Englisch anwenden zu können. Ich unterhalte mich etwas mit ihm, bis er mich unterbricht, weil er gerne noch einen weitere Gast begrüßen möchte. Ich schließe mich wieder Sandhya an, die schon etwas voraus war und wir treffen auf einen weiteren Mönch, der schon älter ist und sich auf seinen urigen Gehstock stützt. Wir werden zusammen mit einem Rentnerpärchen durch die Pagode geführt und haben die Chance etwas über das Leben der Mönche im Kloster zu erfahren. Zum Beispiel, dass sich die meisten wegen des Studiums für das Mönchsdasein entscheiden und nicht etwa auf Grund irgendwelcher Erleuchtungen. Kambodscha ist eines der ärmsten Länder der Welt und das Klosterleben bring sichere Verpflegung und Ansehen mit sich. Keine schlechte Sache, vor allem für junge Männer vom Land. Unter dem Dach der Pagoda zeigen uns die Mönche einen großen Raum, der erst seit 2 Monaten geöffnet ist und erzählen uns, dass sie drei Tage brauchten um den Boden von Vogelkot zu befreien. Leider gibt es kein Licht, sodass ich die große Buddhastatue und die tollen Wandverzierungen, die Geschichten aus dem Buddhismus erzählen, mit meinem Handy anleuchten muss, was aber eine besondere Atmosphäre erzeugt. Die Klosteranlage zählt nicht zu den Haupt-Sehenswürdigkeiten der Stadt, ist aber gerade deshalb ein wirklich ganz besonderes Erlebnis fern von touristischen Einflüssen.
Am Abend machen wir uns auf der Suche nach etwas Essbarem auf den Weg ins Barviertel, indem sich unser Hostel glücklicherweise schon befindet. Hier befinden sich hauptsächlich die Unterkünfte der Rucksacktouristen. Hier gibt es keine Trennung zwischen Bar- und Rotlichtviertel. Fast alle Bars hier sind „Hostessenbars“, was einfach heißt, dass man sich hier bei Interesse den Weg in bestimmte Etablissements sparen kann, da die relativ leicht bekleideten Mädchen bereits zwischen den Gästen sitzen. Wir versuchen ein Lokal ausfindig zu machen, indem man uns ohne Hintergedanken die Speisekarte reicht und bestellen zweimal Pizza und Cocktails. Von der Terrasse aus haben wir einen guten Blick auf die Geschehnisse um uns herum und vor allem ins gegenüberliegenden Lokal, wo einige betagte Touristen von einer Vielzahl deutlicher attraktiverer, junger Damen umgeben sind; sicher wegen der feinen Charaktere der älteren Herren. Am Nebentisch verkauft ein Straßenhändler Spieße, die ich sonst nur als Äskulapstab von Krankenwagen kannte. Die feundliche Kellnerin bemerkt unsere erstaunten Blicke und bietet uns einen solchen zum Probieren an. Wir sehen heute beide keinen Bedarf an einer Schlange zu kauen und lehnen - obwohl die Schlange mich erwartungsvoll anzusehen scheint – dankend ab. Nachdem wir Pizza und Cocktail verzehrt haben, werden wir von der Sängerin gebeten uns drinnen an die Bar zu setzen, damit wir der Musik lauschen können und sie nicht für sich alleine singen muss. Wir kommen mit allen Angestellten schnell ins Gespräch, was auch an unserer Kamera liegt, die die Mädchen immer wieder suchen, und in der Pause nimmt Toni, die Sängerin und eine kräftige herzliche Frau, unsere Musikwünsche entgegen. Wir tauschen Kontaktdaten aus und werden vom gesamten Personal mit Umarmungen verabschiedet, bevor Toni ihre Performance in der Mitte unterbricht, um das Gleiche zu tun.

Montag, 26. März 2012

Tag 11


Anh Linh Waisenhaus

Bevor ich morgen meinen verfrühten Urlaub antreten werde, soll ich heute noch insgesamt drei Klassen im Anh Linh Waisenhaus unterrichten. Ich unterrichte am Morgen zusammen mit Yoga, mit dem ich mir zu diesem Zweck gestern Nacht noch ein paar Unterrichtsinhalte überlegt hatte. Der Weg zum Waisenhaus ist ein etwas weiterer und wir brauchen bis zur Pforte des Hofes mit Bus und Umsteigen etwa eine Stunde. Obwohl ich bereits am Freitag hier unterrichtet hatte, ist es heute Morgen wieder ganz anders. Da die Morgen-Klassen für die Kinder verpflichtend sind, tragen alle ihre Uniformen und werden von ihren Lehrern beäugt, die allerdings nicht mehr als anwesend sind. Als wir den Unterricht eröffnen sollen, erfahre ich zum ersten Mal von der Existenz der Lehrbücher. Alle Vorbereitung ist natürlich umsonst, wenn ich nicht hellsehen kann, dass die 8-Uhr-Klasse gerade die Familienmitglieder lernt und sich die 10-Uhr-Klasse mit dem Wetter beschäftigt. Aber das ist natürlich wieder unser Problem und ich sehe mich stammelnd vor den Kindern stehen und diese einige Sätze nachsprechen lassen.  Die Zeit geht zum Glück schnell vorbei und als wir der nächsten Klasse das Wetter beibringen sollen, bin ich besser vorbereitet. Wir malen ein paar Wolken mal mit Regen, mal ohne, mal pustend, eine lächelnde Sonne und der Laden läuft. Als die Kinder dann noch die entsprechenden Wetterlagen zeichnen dürfen, ist das Spiel entschieden.
Nach Ende des Unterrichtes  und meiner traditionellen Ansprache zur katastrophalen Informationspolitik nehme ich den Bus zurück zu meinem Zimmer, von dem ich Sandhya abhole, die sich zumindest den Nachmittagsunterricht nicht entgehen lassen möchte. Wir fahren wieder zurück in den abgelegeneren Distrikt in dem sich das Waisenhaus befindet und treffen auf dem letzten Stück, welches man zu Fuß bewältigen muss auf meine Kollegin aus Deutschland. Wir sind etwas früh dran und essen, während wir auf dem Hof, auf das Eintreffen der lokalen Helfer warten unser Reis-Frühstück, das wir uns vor der Busfahrt einpacken haben lassen. Bevor es mit dem Unterricht dann letztendlich los geht, werden wir von den Kindern noch in ihr Versteck-Spiel integriert.
Meine japanische Kollegin hat sich glücklicherweise akribisch vorbereitet, sodass wir nur ihren Anweisungen folgen müssen. Wir singen mit den Kindern ein typisches Kinderlied, dass es wohl in allen Ländern der Welt gibt. Ein kleines Mädchen schließe ich direkt in mein Herz, das permanent verschämt meine Aufmerksamkeit sucht und an mir hängt. In der Pause sind die Kinder dann vor allem mit unserer Kamera beschäftigt. Sie lassen sich freudig knipsen und ein Mädchen traut sich auch einmal selbst abzudrücken. Die zweite Unterrichtshälfte verbringen wir draußen auf dem Hof. Die Kleinen sollen uns Verben nennen, die wir pantomimisch darzustellen versuchen und im Anschluss spielen wir ein Laufspiel meiner japanischen Kollegin, dass die Kinder im Gegensatz zu mir, der nur planlos umherirrt, zu verstehen scheinen und fröhlich stimmt.  Ein Mädchen ist jedoch den ganzen Tag still und scheint nicht in der Lage zu sein, ihre Gesichtsmuskeln zu einem Lachen zu bewegen. Ich versuche ihr ein solches zu entlocken, habe aber keine Chance und erfahre, dass das wohl immer so sei. Mein vietnamesischer Kollege sagt mir, dass das einfach ihr Gesicht wäre, sie hat kein anderes. Sie scheint wie die Protagonistin einer dieser Hollywoodschnulzen die von einer außergewöhnlichen Freundschaft zwischen einem Erwachsenen und einem, vom Leben gezeichneten, Kind erzählt. Das hier ist allerdings Saigon, nicht Hollywood und ich habe auch keine dieser lebensverändernden Phrasen parat, die ihr, unterlegt mit pathetischer Musik, ihren Schmerz nehmen und Zuversicht geben.
Bevor wir den Heimweg antreten, zeigt mir Sandhya noch den Nähraum, den sie zuvor entdeckt hatte. Die Lehrerin erklärt uns, dass die Kinder von überall hierher kommen um zu lernen, wie sie Geld verdienen können. Mit diesem Wissen arbeiten sie dann später in den Textilfabriken der großen Hersteller und nähen dann vielleicht unsere lächerlich teuren Marken-Klamotten. Ein komisches Gefühl. Doch diese Kinder sind froh und glücklich, dass sie sich und ihren Familien eine Lebensgrundlage schaffen und erhalten können. Und die Textilien, die sie hier nähen, sind wirklich von außergewöhnlicher Qualität. Die ganze Kinderarbeitsdebatte ist eine schwierige und sicherlich nicht mit unseren westlichen Maßstäben zu diskutieren.
Am Abend sitzen wir wieder auf dem Dach des Hotel Rex und lassen uns von der philippinischen Band und der englischen Reisegruppe unterhalten, die, direkt vor der Bühne postiert, sehr zu meiner Freude, keine Peinlichkeit auslässt. Wieder zu Hause wird dann noch schnell gepackt, damit wir morgen unsere Busreise nach Phnom Penh antreten können, die wir noch am Mittag in einem Reisebüro im Backpacker-Distrikt gebucht hatten.

Tag 10


Heute müssen wir früh aufstehen, da Sandhya gestern bei der Suche nach einem Kleid in einer vietnamesischen Modekette um ein paar Bilder gebeten wurde und wir nun vor der Mittagshitze zum Shooting antreten müssen. Der Fakt, dass das ganze Prozedere dann doch den halben Tag dauert, wir mir mit frischen Säften versüßt, da man hier besorgt ist, dass ich das ganze aus Langeweile abbrechen möchte, was ich daran spüre, dass ich permanent nach meinem Wohlergehen gefragt werde. Zur Mittagszeit werden wir dann glücklicherweise in ein schönes, vegetarisches Restaurant gefahren und eingeladen, dass wir sonst nie gefunden hätten. Meine Geduld hat sich also gelohnt, auch wenn es danach noch etwas weiter ging.    
Nach einem ausgedehnten Mittagsschlaf schleppen wir uns noch im Dunkeln in die Rooftop-Bar des Hotel Rex.  

Freitag, 23. März 2012

Tag 9


Zweiter Unterrichtstag

Heute Morgen habe ich endlich meinen zweiten Unterrichtstag an einer anderen Schule. Ich und Yoga fahren per Motortaxen, die sich als teurer herausstellten als normale Taxen, zur Schule gar nicht weit von unserem vorübergehenden zu Hause. Die Arbeit hier ist völlig anders, verglichen zum ersten Waisenhaus, indem ich unterrichtete. Die Schule ist nicht an ein Waisenhaus gekoppelt und die "Kinder" sind hier so alt wie ich. Hierher kommen Jugendliche, die kein Geld haben eine Schule zu besuchen sich aber gerne weiterbilden möchten. Dazu lernen sie hier Englisch und PC-Kenntnisse, wobei der PC-Unterricht leider mangels PC´s ausfallen muss. Wir betreten den kleinen Klassenraum, nachdem wir unsere Schuhe ausgezogen haben und werden von der Lehrerin begrüßt, die gerade die Hausaufgaben korrigiert. Hier dienen wir nur der Unterstützung der lokalen Lehrkraft, die für die vietnamesische Organisation arbeitet. Die Klasse besteht nur aus etwa zehn Jugendlichen im Alter von 17 - 23, einem Koch, einer Kassiererin; der Rest wohl arbeitslos. Wir beginnen den Unterricht mit einer Vorstellungsrunde, in deren Anschluss Fragen über unseren Ländern gestellt werden sollen, damit die Schüler etwas Englisch sprechen. Ich schlage vor, dass sich alle ein paar Klischees und Vorurteile überlegen sollen, die sie gegenüber Deutschland und Indonesien haben und wir diese dann bestätigen oder zerschlagen können. So reden sie Englisch und erfahren etwas aus der Welt. Neben den normalen Fragen zu Hitler, der Berliner Mauer und Bayern München (der arme Junge war ganz verschüchtert, als ich ihm sagte, dass ich den FC Bayern hasse) wird mir eine eigentlich banale Frage gestellt, die ich erst nicht verstehe, dann aber äußerst Interessant finde: Welche Jahreszeiten haben wir in Deutschland? (Natürlich auf Englisch) Ich antworte:"Frühling, Sommer, Herbst, Winter. Ganz normal eben." Wer sagt, dass es vier Jahreszeiten geben muss? "Wir haben die Regenzeit und die Trockenzeit", antwortet mir die Schülerin. Ich muss mich wieder etwas schämen. Es gibt nicht normal, es gibt nur anders und das ist für uns oft gar nicht so leicht.
Als ich mittags wieder nach Hause komme, schläft Sandhya noch, die ich gestern Abend vom Flughafen abgeholt hatte und die mich für knapp 2 Wochen besucht.


Abends
 

Am Abend suchen wir etwas zu Essen und ich will ihr auf dem Weg noch ein paar Sehenswürdigkeiten zeigen. Das Hauptpostamt ist glücklicher Weise noch geöffnet und ich kann auch zum ersten Mal einen Blick vom Inneren erhaschen. Die Innenarchitektur erinnert eher an einen Bahnhof , mit den verzierten Schalterhäuschen, den Deckenflutern und den riesigen gezeichneten Wandkarten aus vergangenen Zeiten, die das damalige Saigon und Cholon (heute zusammen Ho Chi Minh Stadt) und Indochina mit kolonialen Grenzen zeigt.
Als wir heraus gehen, um ein paar Bilder vom beleuchteten Äußeren zu machen, werden wir von einem Franzosen angesprochen, der seine Kamera samt Mikro auf einem Stativ vor dem Gebäude positioniert hat. Er und seine Freundin, die neben ihm steht, leben schon seit einiger Zeit hier in Saigon und beginnen heute ihre Arbeit für einen internationalen Reiseführer, für dessen Onlineauftritt wir doch jetzt bitte ein kleines Statement in die Kamera sprechen sollen. Nachdem wir uns gut eine halbe Stunde über Nationalitäten, die Stadt und die Architektur des Mittelalters unterhalten haben, stimme ich zu und spreche ein paar Sätze, die mir eher spontan zufliegen, in die Kamera, in der Hoffnung, dass das alles nie ausgestrahlt wird. Wir unterhalten uns eine weitere halbe Stunde, werden mit einem Exemplar des sehr schicken Reiseführers belohnt und machen uns dann endlich auf die Suche nach einem vegetarischen Restaurant. In einer, mir bekannten, vietnamesischen Restaurantkette vermute ich ein paar vegetarische Gerichte, doch auf die Frage, nach etwas „without fish and meat“ reagiert man hier, wie überall sonst, völlig schockiert und hilflos. Auch mit der Frage nach simplem Reis mit Gemüse kann man absolut nichts anfangen. Was in Deutschland nur ein Problem für Sandhya war, ist nun auch meines, da ich nach getrocknetem Rinderblut, Hühnerfüßen, Fischinnereiensuppe und Schweineinnereienkuchen eine Art Vegetarier auf Teilzeit geworden bin. Ich gebe mich dennoch mit ein paar weniger vegetarischen Frühlingsrollen zufrieden und für Sandhya erbarmt sich die Küche schließlich noch ein bisschen Grünzeug in ein paar Reisblätter zu wickeln. Weil uns das nicht wirklich sättigt schauen wir noch kurz im „Bräuhaus“ vorbei, das beim Versuch deutsch zu sein, jämmerlich versagt, uns aber immerhin mit ein paar Aufbackpommes versorgt.

Donnerstag, 15. März 2012

Tag 8

Kennenlernen

Heute morgen lerne ich endlich die anderen Praktikanten kennen. Ich fahre wieder mit dem Bus Richtung Universität, wo ich diesmal jedoch nicht in ein vietnamesisches, sondern ein japanisches Teehaus geführt werde. Den Unterschied erkenne ich als Europäer mit rudimentären asiatischen Kulturkenntnissen lediglich an den japanischen Schriftzeichen und der Vietnamesin, die sich im Kimono versucht. Die Tische sind wieder mehr für Puppen-Teeparties geeignet als für meine Beine, die Schuhe lassen wir vor der Tür und auch der Tee ist wieder kalt und ein grüner. Als ich mit den etwa 10 anderen Volunteers plus den lokalen AIESECern an den aneinander gereihten, kleinen Tischen sitze, beginnt das Team, dass für unsere Unterstützung zuständig ist, mit ihrer kleinen Einführung in das Land und die Leute. "Endlich", denke ich mir nach einer Woche, in der ich mich in meinem Zimmer am wohlesten gefühlt habe. Was meine Kollegen denken, die in zwei Wochen schon wieder abreisen, kann ich mir ausmalen. Von den Fakten behalte ich mir nicht mehr, als die Ermahnung, nie mit nackten Fußsolen auf den Altar oder die Ahnengalerie der Vietnamesen zu zeigen. Ich nehme mir fest vor, diese Art der Akrobatik in Zukunft zu unterlassen und freue mich einfach endlich ein paar Leidensgenossen kennen zu lernen.
Die Zusammensetzung der Gruppe ist sehr interessant, da Studenten aus so vielen verschiedenen Ländern und Kulturen vertreten sind. Die größte "Delegation" stellen drei Japanerinnen, gefolgt von den Deutschen in Person einer Studentin aus Stuttgart und mir. Die anderen sind aus China, Indonesien, Equador, Frankreich und Holland. Der Holländer und ich nehmen uns sofort gegenseitig das Versprechen ab, einmal gemeinsam ein paar Bars und einige Biere zu ergründen. Er erzählt mir außerdem, dass er ein Schwimmbecken in der Nähe kennt, in dem er jeden Mittag seine Bahnen zieht, um dem Muskelverlust etwas entgegenzuwirken. Er spielt auch Fußball und klagt, dass er hier nach einer Woche ebenfalls direkt etwas labberig wurde. Als er in die Runde wirft, dass Deutsch nur ein niederländischer Dialekt sei und als ich erwidere, dass Holland zu Deutschland gehöre, muss er den irritierten Asiaten erklären, dass das nur für einige Jahre der Fall war. Danach muss ich auch noch dahingehend auflären, dass es die Mauer zwischen West- und Ostdeutschland nicht mehr gibt; etwas, das ich inzwischen schon öfter richtig stellen musste. Am Ende gebe ich meinem Vietnamesisch noch mal eine Chance und versuche einer vietnamesischen Kollegin nachzusprechen. Ich gebe frustriert auf, da ich nicht einmal merke, dass ich alles völlig falsch ausspreche; meine Zunge ist für diese Kunststücke nicht geeignet.

Dienstag, 13. März 2012

Tag 7

Keine Arbeit, kein Erlebnis, keine Lust. Ich kann jetzt über die Langeweile philosophieren, kann aber auch einfach ins Bett....
Eine Chance für ein paar Bilder, die es bisher nicht auf meinen Blog geschafft haben...




Tag 6

Mehr Meeting als Arbeit

Erstes Projektmeeting um 2 Uhr mittags. Wir sollen erste Eindrücke teilen, Probleme ansprechen und Ideen einbringen. Ich und Yoga fahren mit dem Bus zur Universität, von wo aus wir zu dem uns genannten Teehaus laufen. Wieder ist es ein typisch unauffälliger Laden, der eher an ein Wohnzimmer erinnert. Vor der Tür stehen jedoch etliche Schuhe und einige Vietnamesen sitzen auf einer kleinen Erhöhung auf dem Boden, ihre Getränke an kleinen Tischen genießend. Wir suchen im ersten Stock nach unseren Kollegen und werden in einem Raum fündig, vor dem wir ebenfalls unsere Schuhe ausziehen und uns zu ihnen auf den Boden begeben. Obwohl im relativ kleinen Raum noch einige andere Studenten sitzen, gibt er mir ein gemütliches, heimisches Gefühl. Bevor ich feststelle, dass ich aus der Karte nicht schlau werde und meine Kollegin wählen lasse, bekomme ich schoneinmal ungefragt einen kalten, grünen Tee gereicht, der aber diesmal etwas nach Kokos und erstaunlich gut schmeckt. Genauso "meine" Bestellung; eine Art Shake mit Kiwi und Lychee. Wir beginnen das Gespräch und jeder der Praktikanten beginnt über seine Erfahrungen und aufkommende Probleme zu reden; wie zum Beispiel das Desinteresse vieler Kinder und die chaotische Organisation. Die vietnamesischen Kolleginnen sind erst, wie ich erwartete, sehr zurückhaltent und haben offensichtlich keine Probleme mit nichts und niemandem. Als wir alle etwas wärmer miteinander geworden sind, hören sie allerdings nicht mehr auf, über alles und jeden zu klagen und geben zu, dass sowohl das Team unerfahren, als auch das Projekt schlecht organisiert ist und äußern die Vermutung, dass keiner eigentlich so wirklich weiß, welche Ziele es zu erreichen gilt. Ich bin weniger über deren Denkweisen, die sich mit meiner decken, überrascht, jedoch umso mehr, dass sie ihre Meinung auch so offen äußern. Wir verbleiben beim Gesagten und vereinbaren nocheinmal alles, samt Verbesserungsvorschlägen, als Mail an die anderen Mitglieder zu senden. Ich bin begeistert über die offenen Worte und denke schon darüber nach, meinen asiatischen Stereotypen zu verwerfen.
Einige Mails und Stunden später sehe ich jedoch eine Protest- und Empörungswelle auf uns niederbrechen. Meine vietnamesischen Kolleginnen werden als Judas denunziert und jegliche Probleme werden einfach negiert. Der Tenor ist, dass wir mit unserer negativen Einstellung das Projekt zum Scheitern verurteilen würden. Man ist hier offensichtlich nicht froh über Anregungen, sondern verharrt lieber bei Altem, was in diesem Fall heißt, dass wir die Kinder mit unserer Anwesenheit einfach nur nerven, da diese mangels Lehrplan und Protokollen wahrscheinlich zum zehnten Mal Zahlen und Tiere gelehrt werden. Die Unaufmerksamkeit sei darin begründet, dass die Kinder eben einfach "nasty" und wir Praktikanten eben einfach nicht an den Kindern interessiert seien. Aber sicherlich nicht darin, dass die Kinder seit Start des Projektes vor 2 Jahren vierzig verschiedene Gesichter sehen, die, einer nach dem anderen, Obst an die Tafel malen. Die Kinder sprechen immernoch kein Wort Englisch, was selbst dem größten "Gesichtsbewahrer" Anlass zum Grübeln geben sollte.



Saigon Noir, oder so

Am Abend mache ich mich alleine auf ins saigoner Nachtleben, da es die hiesigen Studenten nicht so mit der Freizeit haben, ich aber auch nicht zwei Monate in meinem Zimmer verbringen möchte. Ich schlendere ein bisschen durch die Straßen. "Ich lasse mich treiben" wäre wohl zu viel gesagt. Ich möchte mir einmal die Dachterrasse des berüchtigten Rex Hotels anschauen, indem zu Kriegszeiten sowohl amerikanische Soldaten, als auch Journalisten untergebracht waren. Zudem kann dort die Live-Musik über fehlende Konversationen hinwegtrösten. Das Innere des Hotels ist sehr schick und auch die Dachterrasse hält auf den ersten Blick was sie versprach. Ich bestelle mir einen John Collins*, der hier für vietnamesische Verhältnisse lächerlich teuer ist und auch mir in der Tasche brennt, obwohl man in jeder deutschen Bar das gleiche zahlt. Entschädigt werde ich jedoch durch einen Platz am Geländer, der mir einen schönen Blick auf den quirligen Verkehr gewährt, sowie die Band, die mich nach einem gelungenen Louis Armstrong und Tina Turner Cover bereits erobert hat. Nachdem dann noch der zugehörige Trauzeuge einer hier feiernden Hochzeitsgesellschaft ein Ständchen samt Gitarrensolo bringt, ist das Unterhaltungsprogramm gelaufen und mein Abend auch. Meine ersehnte Konversation habe ich dann wieder mit einem Vietnamesen, der mir auf dem Heimweg irgendetwas anzubieten scheint, dass ich nicht verstehe. Ich weiß, dass meine Antwort "No" ist, er denkt, dass ihn das nicht zu interessieren braucht und so habe ich wenigstens für die nächsten hundert Meter einen Weggefährten.

*hier ein Scotch mit Soda, Zitronensaft und Zuckersirup    

Montag, 12. März 2012

Tag 5

Ein guter Tag

Der Tatsache geschuldet, dass ich trotz des Unterrichts, mit verbundener Müdigkeit wieder erst gegen 4 den Weg ins Bett gefunden habe, beginnt mein Tag erst um die Mittagszeit. Es ist Wochenende, also kein Grund für schlechtes Gewissen. Ich sitze an meinem Laptop um meine Mails abzurufen. Kein beiläufiges Unterfangen bei gefühlter 32k-Übertragung. Der Rechner zelebriert das Öffnen jeder Nachricht, während ich gelangweilt auf und ab gehe und versuche, dass ein oder andere zu erledigen. Von einem ohrenbetäubenden Rauschen werde ich aus meiner E-Mail-Lethargie gerissen. Ich ducke mich reflexartig, die Decke stürzt ein, denke ich. Ich gucke nach draußen, ob eventuell ein LKW seine Ladung Kies vor das Haus schüttet. Es regnet jedoch einfach nur monsunartig. Ich ziehe den Vorhang wieder zu und schüttle etwas betroffen den Kopf. Ich fühle mich ziemlich europäisch; etwas dämlich. Ich denke darüber nach, dass die Blechbauweise des Vordaches für den hohen Geräuschpegel verantwortlich ist. So muss ich mich weniger schämen.
Vor der Tür bietet sich mir ein völlig verändertes Bild der Stadt. Die Temperatur ist angenehm, die Farben sind satter, der Smog scheint verflogen und mit ihm alle graue Tristesse. Es scheint, als sei die ganze Stadt einmal kräftig durch gespült worden. Wurde sie schließlich auch für etwa eine Minute; mehr war es nicht. Ich suche zielgerichtet das „Highland Coffee“ auf, eine Art Starbucks, um einen guten Café zu trinken und etwas Kleines zu Essen. Nicht nur die Stadt, auch die Menschen scheinen ausgewechselt. Von zwei Vietnamesinnen werde ich hinter der Theke direkt mit einem verschämten Gekicher und Lächeln begrüßt. Zudem sprechen sie ein klein bisschen Englisch. Es wird ein guter Tag. Ich bestelle meinen Café und werde gebeten mich zu setzten. Ich suche mir einen Platz an einem Tresen mit Blick aus dem Fenster Richtung Straße. Im Hintergrund läuft beschwingt leichte Jazz-Musik, während ich dem Treiben auf der Straße zusehe. Die Menschen scheinen sich für das Wochenende schick gemacht zu haben und sehen viel fröhlicher aus, als die Tage zuvor. Ich unternehme eine kulinarische Zeitreise in die koloniale Vergangenheit Vietnams; ich bestelle Crock Monsieur und bekomme French-Toast mit Pommes. Eine solide Sache. Beim Bezahlen bitte ich die Kellnerin, zu ihrer Freude, mich bei der Aussprache des vietnamesischen Danks zu korrigieren. Ich wende das gerade Gelernte an und verabschiede mich.


Sightseeing

Hauptpostamt und Diamond Plaza
Hauptpostamt
Notre Dame
Ich möchte einige der Sehenswürdigkeiten noch einmal bei Tageslicht sehen und habe sowieso nichts zu tun. Los geht es bei „Notre Dame“, der neoromanischen Version ihrer gotischen Schwester im fernen Westen. In der zweiten Hälfte des 19ten Jahrhunderts scheinen den Kolonialherren aber die Ziegel ausgegangen zu sein, sodass die beiden Glockentürme nur etwa 40 Meter erreichen und es der Basilika im Ganzen etwas an Glanz und Spektakel fehlt. Schön anzusehen ist sie trotzdem, wie sie in Mitten des Verkehrs stoisch ruht. Vor dem Überqueren der Straße werde ich noch von zwei weiblichen Philippinos ins Gespräch verwickelt, die jedoch nach der Feststellung, dass ich „just a student“ sei, das Interesse an der Konversation verlieren und mich ziehen lassen.
Notre Dame
Der Platz vor der Basilika mit seiner Marienstatue, dem angrenzenden alten Hauptpostamt und den vielen altehrwürdigen Hotels versprüht den Charme der alten Kolonialzeit. Weiter der Straße in Richtung Saigon River folgend, werden sowohl Leute als auch Läden schicker. Riesige Shoppingtempel reihen sich neben französische Restaurants, die mit viel Prunk und Weißgold locken. In einem trägt ein Kellner eine französische Kolonialuniform mit entsprechendem Tropenhelm. Als ich mir das Hotel Caravelle etwas näher anschauen möchte werde ich auf eine Leuchtreklame aufmerksam, die deutsches Bier verspricht. Dahinter ist das „Bräuhaus“ (was das „ä“ soll, weiß ich nicht), in dessen Innerem Vietnamesinnen im bayrischen Dirndl servieren. Mit dem Gedanken wiederzukommen, ziehe ich in Richtung Fluss weiter. Es ist schon lange dunkel und auf dem Fluss sieht man von Weitem eine traditionelle Dschunke, deren Segel beleuchtet sind. Später merke ich jedoch bei näherem Betrachten, dass das Boot überhaupt keine Segel hat und schon gar nicht traditionell ist. Ich überquere den stark befahrenen Kreisel und setzte mich auf eine Bank am Rande des Ufers; neben mir ein Restaurant. Während ich versuche ein paar gute Bilder zu erhaschen, stört mich eine Stimme von hinten. Genervt winke ich ab und schüttle den Kopf, ohne den Störenfried eines Blickes zu würdigen. Es ist kraftraubend sich jedes Mal gegen Bettler und Straßenverkäufer zur Wehr zu setzten. Verwundert, dass er sich so leicht abwimmeln lies, drehe ich mich und bemerke, dass er weder betteln noch verkaufen, sondern lediglich meine Bestellung aufnehmen wollte, da ich mich offensichtlich auf der, dem Restaurant zugehörigen, Terrasse befand. Ich denke darüber nach, wie herabwürdigend ich auf ihn gewirkt haben muss und mache mich beschämt auf den Weg. Auf dem Heimweg fällt mir ein kleines, ausgestopftes Krokodil auf, dass in einem Laden ausgestellt ist. Ein Schild teilt mir folgendes mit: ´Crocodile said:“please, do not touch me“´. Ich denke über Sprachbarrieren nach und ob das Krokodil noch leben würde, wenn es stattdessen den Satz „please, do not stuff me“ gelernt hätte.

Sonntag, 11. März 2012

Zwischenspiel


Beschäftigt man sich ein wenig mit der Geschichte Vietnams, lehrt es einen wesentlich mehr, als man zunächst vermuten mag; vielleicht mehr, als einem eigentlich lieb ist. In vielen Reiseführern wird man ausdrücklich darauf hingewiesen, sich vor dem Besuch der hiesigen Museen, gut mit der Geschichte Vietnams vertraut zu machen, um sich kognitiv etwas vor der marxistisch verdrehten Faktenlage zu schützen. Natürlich wurde der Süden nicht „befreit“ und „Onkel Ho“ war wohl auch nicht der Heilige, den man sich bei Betrachtung der unzähligen Statuen ausmalt.
Anstatt sich jedoch über die Vietnamesen zu heben und das Wirken der marxistischen Propaganda auf die Bevölkerung zu belächeln, sollten wir uns einmal schmerzlich damit befassen, dass wir dem gleichen Blödsinn zum Opfer fallen.
Wir bemitleiden die Amerikaner für ihr „Vietnam-Trauma“ und stellen uns kleine, böse Vietnamesen vor, die heimtückisch und feige aus ihren Tunneln auftauchen, um zu sabotieren und morden, während die Freunde aus dem Westen doch nur helfen möchten. Unzählige Filme zeigen uns die romantische, fast kitschige Niederlage der Amerikaner. Sie erzählen von Helden und Veteranen.
Vor dem Krieg waren gut 2/3 Vietnams mit tropischem Regenwald bedeckt. Nach dem Abzug der Amerikaner sind es 20%. Der gesamte Boden ist heute noch mit Phosphor verseucht und landwirtschaftlich unnutzbar. Das gleiche gilt für Gebiete in Laos und Kambodscha, an denen die Freunde aus dem Westen ihre neuen Waffentechnologien aus 10000 Metern testen.
Viele kennen das berühmte Bild, auf dem zu sehen ist, wie die tapfer ausharrenden Amerikaner in letzter Sekunde per Helikopter vom Dach der Botschaft fliehen..... ihre vietnamesischen Helfer haben sie ausgesperrt; der nordvietnamesischen Armee überlassen.
Die Charlie-Company unter Führung von Leutnant Calley war für ihre Search-and-Destroy Missionen bekannt. Der bekannteste Fall ist sicherlich My Lai. „128 Gegner im Kampf getötet, 3 Waffen erbeutet“, der Oberbefehlshaber gratuliert. Als ein ausgetretener Soldat ein Jahr später berichtet, ist klar: An diesem Tag in My Lai wurden in 90 Minuten über 500 Zivilisten getötet. Unter Calleys Befehl: „I want them dead!“ wurden Alte, Frauen und Kinder am Teich aufgestellt und mit Maschinengewehren niedergemäht.
Der bekannteste, aber nicht der einzige Fall dieser Art. Schätzungen (und keine marxistischen) gehen davon aus, dass auf diese Weise einige hunderttausend Zivilisten von Amerikanern hingerichtet wurden. Nach dem Öffentlich werden der „Vorfälle“ wurde Calley zu lebenslanger Haft verurteilt. Amerikanische Veteranen sowie die Bevölkerung war entsetzt. Allerdings nicht von den Ereignissen, sondern, dass ein Kriegsheld verurteilt wurde. Nixon mischte sich ein und reduzierte die Strafe auf 20 Jahre. Das Militärgericht reduzierte wiederum auf 10 Jahre nachdem die Medienaufmerksamkeit nachgelassen hatte. Nach dreieinhalb Jahren war Calley ein freier Mann.
Das Urteil zur Haftstrafe Calleys lautete (1970!!): „Tötung menschlich-orientalischer Wesen“....

Tag 4 - erster Unterricht....

....Endlich

Heute darf ich endlich etwas tun. Mit meinem geliehenen Helm suche ich die Bushalte an der ich die Linie 19 Richtung Universität nehme. Eingestiegen wird in den fahrenden Bus, gehalten wird nicht. Ich setze mich hinter den Busfahrer und bezahle beim Kontrolleur 4000 Dong (etwa 15 Cent). Der Busfahrer hat sich seinen Arbeitsplatz mit einem Buddhistischen Schrein verschönert. Ich zeige ihm einen Papierfetzen, auf den ich die Adresse geschrieben habe, wenn ich irgendetwas sage, versteht es sowieso keiner. In einem Restaurant ist es gut zu wissen, dass „ga“ Hühnchen heißt. Je nach Betonung hat dieses „ga“ jedoch 8 Bedeutungen, und ich möchte in einem Restaurant höchstens ein Huhn, aber weder einer „Ehe mit seiner/ihrer Tochter einwilligen“, noch den Kellner „verführen“ (tatsächlich zwei weitere Varianten von „ga“). Ich verlasse mich also auf meine Gestik. Klappt zwar auch nicht, aber ich muss mich nicht auch noch um eine Hochzeit kümmern, die mir hier übrigens besonders aufwendig erscheinen.
An der Universität angekommen, suche ich vergeblich denjenigen der mich zum Waisenhaus bringen soll. Ich setze mich zwischen den hunderten vietnamesischen Studenten auf die viel zu kleinen Bänkchen unter deren Tischen meine Beine keinen Platz finden und warte. Nach zwanzig Minuten höre ich dann endlich das Hupen seines Rollers. Ich springe auf und es geht los. Ich ärgere mich immer, dass ich vom Roller aus keine Fotos machen kann. Der Blickwinkel ist einmalig, aber ich brauche eigentlich sowieso mehr als zwei Hände, um mich festzuhalten. Es ist beeindruckend, mit welcher Sicherheit diese Menschen auf den Rollern unterwegs sind. Es scheint oft, als würden sie mit diesen verschmelzen. An uns vorbei rasen zwei Männer; zwischen ihnen eine riesige Glasscheibe. In den Stummfilmen der 20er ein Gag, hier Alltag. Am Straßenrand liegen die Vietnamesen auf ihren Rollern und schlafen; ein Kunststück.
Wir überqueren den Saigon River und entfernen uns immer weiter aus der Kernstadt. Wir fahren ein ganzes Stück an diesem breiten Fluss entlang, der eine große Faszination auf mich ausübt. Am anderen Ufer liegt in der Ferne der boomende Kern des Distrikt 1. Moderne Wolkenkratzer, luxuriöse Hotels, schillernde Bürogebäude und viele Kräne die mehr versprechen.
Wir verlassen die Straße und fahren in einer engen Gasse ohne Straßenbelag weiter. Bald stoppen wir vor einem Gittertor. „Here we are!“. Ich bedanke mich für die Fahrt und werde der Heimleiterin mit ein paar kurzen Worten vorgestellt. Auf dem Hof spielen ein paar Kinder im Staub der Großstadt. Ich werde ins Haus und dann eine Treppe hinauf geführt. Im Treppenhaus sind ein paar Waschbecken, an denen sich einige Kinder waschen und eine kleine Toilette unter der Treppe im Dunkeln. Ich betrete den Klassenraum im ersten Stock, in dem der Unterricht bereits gestartet hat, da wir etwas spät waren. Die Kinder jubeln kurz, als sie mich sehen; ich setze mich in die letzte Reihe; es ist wieder ruhig. Meine Kolleginnen aus Deutschland und Japan malen Kleidungsstücke an die Tafel und schreiben die entsprechenden Wörter dazu. Manche Kinder machen begeistert mit und hüpfen auf den Tischen, andere sitzen apathisch an ihren Plätzen und kritzeln bestenfalls ein wenig abwesend. Es ist sehr schwierig mit den Kleinen umzugehen. Die einen bleiben nicht sitzen springen und schreien wild umher, die anderen sind ganz woanders. Ich unterhalte mich mit dem AIESECer der mich hergefahren (er ist der Projektleiter des Unterrichtsstoffes, den wir jedoch weitgehend selbst erstellen sollen) hat über die Bedingungen und die Schicksale der Kinder. Morgens unterrichten wir etwa 40 Kinder. Mittags ist der Unterricht freiwillig, es sind etwa 20 Kinder im Klassenraum, davon ein Junge. Kinder sind überall gleich. Von den 40-50 Kindern die sich hier täglich aufhalten, schlafen nur 20 hier, sie sind Waisen. Die anderen sind Kinder von verurteilten Drogenhändlern, die der Strick bald zu Waisen machen wird. Zur Vertiefung der erlernten Vokabel spielen meine Kolleginnen mit den Kindern „Galgenmännchen“. Ich verbiete mir nicht, in dieser Tragik eine gewisse Komik zu finden. Ich heuchle keine Betroffenheit. Die Szenerie ist zu unwirklich.
Nach etwa einer Stunde und einer Pause, die nach dem Läuten der Glocke frenetisch gefeiert wird, darf ich ins Geschehen eingreifen. Durch ein Puzzle in Form eines Gesichts, welches wir natürlich vorher basteln, sollen die Kinder die Gesichtsorgane und die englischen Begriffe für verschiedene Ausdrücke kennenlernen. Ein traditionelles japanisches Spiel. Die Kinder müssen das Gesicht mit verbundenen Augen zusammenpuzzlen und sagen, welche Empfindung es hat. In diesem Fall „happy“ oder „sad“. „Nachdenklich“ konnte ich nicht basteln.
Zum Abschluss sollen wir den Kindern etwas über Deutschland erzählen, was über Bilder geschieht, da sie eben kein Englisch verstehen. Unsere vietnamesischen Kollegen sind aber bemüht zu übersetzen. Ein Bild von Phillip Rösler und dem verbundenen Schicksal, kann sie nicht begeistern, dafür natürlich ein Portrait unserer Nationalmannschaft. Als ich gefragt werde, ob ich Manuel Neuer sei, muss ich die Kinder enttäuschen und das Raunen verstummt.
Mein erster Tag ist vorbei, wir fahren zurück ins Zentrum und suchen uns ein Touri-Restaurant im Backpacker-Distrikt. Ich bin bereit mich für ein normales Essen über den Tisch ziehen zu lassen. Ich kann kein trockenes Blut mehr sehen. Meine Gnocchi schwimmen zwar ganz ähnlich in der Instant-Gorgonzolasoße, ich esse sie jedoch ohne jeglichen Drang mich zu übergeben. Zwei meiner vietnamesischen Kolleginnen haben uns etwas seltsames von einem der vielen Straßenständen mitgebracht, dass sich als weiße Bohnen in Kokoscream entpuppt und nach dem vierten Löffel richtig gut schmeckt. An den Nebentischen tun mir die zahlreichen älteren Europäer Leid, die gerade im Begriff sind, sich von einigen jungen Vietnamesinnen sowohl monetär als auch - nicht zu Letzt - emotional ausbeuten zu lassen. Ich steige in den Bus und fahre nach Hause.

Freitag, 9. März 2012

Tag 3

Dahinvegetieren

Meine innere Uhr ist immer noch Deutsch. Ich schlafe von 5 Uhr bis 11 Uhr morgens und wache nur auf, weil es an meiner Tür klopft und ich die Stimme meiner Vermieterin höre. Ich gehe zur Tür und öffne sie einen Spalt. Sie drückt sie auf, zeigt auf meine Badtür und sagt: „check, one minute“. Ich kauere hinter der Tür, da ich nahezu unbekleidet bin. Mit meiner Warnung:“I am nacked“ konnte sie unmittelbar vor dem Öffnen der Tür nichts anfangen. Ich nutze einen günstigen Moment und husche unter die Bettdecke. Sie geht wieder; ich schlafe wieder ein; habe keine Termine, keine Aufgaben, keine Ahnung. Um zwei Uhr das gleiche Spiel: Ich werde wach vom Klopfen an der Tür. Ich sollte es jetzt besser wissen, öffne dennoch die Tür. Wieder kauere ich hinter der Tür, diesmal sind sie aber zu dritt. „One minute“ Okay, was auch immer. Ich ziehe mir schnell eine Hose an und gehe zurück ins Bett. Als sie weg sind, steht ein Hocker vor meiner Toilette und der Boden ist nass. Ich erkenne, dass sie das undichte Duschrohr repariert haben. Schade. Das stetige Tropfen und das 4-stündliche Leeren des darunter befindlichen Plastikbechers ergab zusammen mit dem Surren der Klimaanlage und dem Klappern des Ventilators eine meditative Athmosphere.
Ich entscheide mich aufzustehen. Gleich sollte ich mein erstes Treffen bezüglich meiner Tätigkeit haben. Endlich werde ich erfahren, was ich überhaupt machen soll und wo ich morgen um 14 Uhr stehen soll. Nach drei Tagen dahinvegetieren kann ich es kaum erwarten. Das Treffen fällt aus.
Ich erfahre es von meinem indonesischen Kollegen, keine Mail, kein Nichts.
Ich habe also einen freien Tag. Gewollt habe ich ihn nicht.


Besorgungen

Bei "Lotteria" ist Essen kein Glücksspiel
Bevor ich den Wechsel der Tageszeiten nur noch an meinem Handgelenk erahnen kann, entscheide ich mich einfach rauszugehen. Ich habe nichts Spezielles vor. Das finde ich immerhin. Ich laufe einfach die lange Hauptstraße entlang. Ich merke wie meine Lungenflügel die Wandfarbe ändern. Jeder Atemzug ist unangenehm, ich fliehe in eine Seitenstraße und finde eine große Halle, die „Arsenal Football School“. Sicherlich. Im Erdgeschoss befindet sich ein Fitnessstudio. Danach habe ich die ganze Zeit gesucht. Es ist offen und vor dem Treppenabsatz stehen 50 Paar FlipFlops. Schuhe müssen draußen bleiben, egal wo, dass brachte mir meine Vermieterin auch ohne Englisch gleich bei. Der Boden ist mit Schweiß benetzt, die Geräte rustikal aber anscheinend effektiv. Hinter der Halle ist ein Exerzierplatz für Kampfsportler. Ich weiß nicht um welchen Stil es sich handelt, aber sie haben blaue Bademäntel und schreien unaufhörlich. Ich möchte die Hauptstraße überqueren, doch fehlt mir etwas der Mut. Als ich es endlich schaffe flüchte ich in die „Lotterie“, den Fastfood-Laden von gestern Abend; ich esse das Gleiche, wie gestern Abend. In der Fremde wird man spießig.
Ich gehe in einen kleinen Supermarkt um ein paar Besorgungen zu machen und mir die Zeit zu vertreiben. Ich finde mich überhaupt nicht zurecht und kann natürlich auch nichts lesen. Zwar gibt es hier viele bekannte Marken aber die Beschreibung ist es nicht. Beim erforschen des Ladens entdecke ich auch einige deutsche Produkte, denen man nicht unbedingt das Zeug zum Exportschlager zugetraut hätte. So muss ich beispielsweise erschrocken feststellen, dass Oettinger als einziges deutsches Bier neben Bitburger den Weg in die Regale gefunden hat. Außerdem findet man hier Lorenz Snacks ebenso wie Leibnitz Kekse. Alle Saftverpackungen sind Tetrapacks. Ich möchte einige Putzmittel organisieren, um mein Zimmer einmal grundzureinigen, da mich vor allem die Toilette mehr an meinen Vormieter erinnert, als mir lieb ist. Die Putzabteilung wird regiert von „Mister Muscle“ dem vietnamesischen Pendant zu Meister Proper. Obwohl Mr. Muscle mit seinem orangen Superheldenoverall und der passenden Brille kompetent wirkt, entscheide ich mich für ein billigeres Produkt. Begleitet wird mein Einkauf von einer Endlosschleife „The Sound of Silence“ von Simon & Garfunkel.


Essen und Ähnliches

Essen und Ölwechsel an einem Ort
Abends begleite ich Yoga zum Essen. Er strebt stehts zielsicher auf die übelst aussehende "Lokalität" zu. Die Küche ist eine Garage mit einer Ansammlung von Blecheimern und Schläuchen. Hier wird das Essen zubereitet. Ich frage mich, ob man dort einen sauberen Ölwechsel durchführen könnte. Die Karte ist groß und mit englischer Übersetzung. Ich wähle aus 80 Gerichten das einzig vegetarische: "Glassnudel Soup". Trotz der englischen Karte spricht hier auch keiner Englisch und wir leider auch kein Vietnamesisch. Die Angestellten hassen uns. Vielleicht auch weil mein Kollege etwas herrisch gestikuliert und sichtlich genervt ist. So ist es aber in fast jedem Lokal in unserem Viertel. Ich bin absolut nicht willkommen. Ich bin ein Fremder. Das ist sicherlich anders in den touristischen Gebieten, aber das hier ist "real Saigon". Ich lächle ständig, bedanke mich, doch ich bin der Einzige im "Land des Lächelns". Während ich mich unwohlfühle, liefere ich mir ein Starrduell mit einigen der Eidechsen und Kakerlaken die uns Gesellschaft leisten. Sie scheinen sich an meiner Gegenward nicht zu stören. Ich bekomme meine Suppe. Die ist aber natürlich alles andere als vegetarisch. Als erstes sortiere ich wieder den großen Blutbatzen aus, der hier allerdings nicht rot ist, sondern eher ins bräunliche geht. Erfrischend anders. Das zerfetzte Huhn kann ich nicht aussortieren. Es scheint als sei es einfach in einem Stück geschräddert worden. Ich gebe auf und esse die blutigen Fetzen zusammen mit den Glasnudeln und der Blutbrühe. Zum Glück ist es unhöflich aufzuessen, sodass ich eine halbe Suppe Höflichkeit stehen lasse. Zur Suppe bestelle ich mir ein "Saigon Bier", welches mir mit einem Glas voll Eiswürfel serviert wird. Die Eiswürfel sind seltsam schwarz und ohne dass ich etwas sagen konnte, nimmt mir ein anderer Kellner das Glas weg und bringt mir ein neues sauberes. Ich mache mir so meine Gedanken. Ich vertraue zwar keinen Eiswürfeln hier, aber 30°C warmem Bier noch weniger. Das Bier ist gut, aber schnell wässrig.
Ich bezahle etwa 1,30 € und wir beschließen und einmal den anderen "Ausländern" in unserer Straße anzuschließen. Ich nehme mir ein "Tiger Bier" aus dem Kühlschrank und hole uns zwei Kinderplastikstühle vom Stapel. Neben uns sitzt eine Gruppe Briten, die wohl hier arbeitet. Die sind aber weniger am Kontakt mit uns interessiert, sondern diskutieren über die Qualität verschiedener Huren. Der Besitzer des Hauses sitzt in der Mitte, redet mal hier mal dort mit. Er kann etwas Englisch, lächelt unentwegt und macht ein paar Späße mit mir. Ich fühle mich etwas wohl.